So etwa meinen sich viele an die Romane Kafkas zu entsinnen und nehmen auf diese bei ihrer Begegnung mit dem Schriftsteller Bezug, obschon diese erst einige Jahre nach dem Tode Kafkas von Max Brod publiziert wurden. Der posthum entstandene Ruf Kafkas amalgamiert sich mit den vermeintlichen Erinnerungen, es kommt zu Schilderungen, die von dem später Erfahrenen offenkundig stark beeinflusst wurden. Dennoch entsteht ein vielfältiges, beeindruckendes Porträt, das so manchem tradierten Klischee widerspricht und Kafka den Nimbus des weltentrückten, asexuellen Dichters raubt. Durch die beiden umfangreichen Briefsammlungen (der Briefe an Milena und Felice) entsteht gerade in Bezug auf die Sexualität Kafkas ein verqueres, von – scheinbaren – Komplexen geprägtes Bild, das der Lebenswirklichkeit Kafkas offen widerspricht: Er war von recht vielen Frauen, Verehrerinnen umgeben, zwar keineswegs ein Don Juan, aber Flirts durchaus zugeneigt und hat mitnichten ein enthaltsames Leben in einer Dichterklause geführt (vgl. dazu auch die ausgezeichnete und umfangreiche Biographie von Reiner Stach). Dem Image des schüchternen, vereinsamten, depressiven Außenseiters wird auch von vielen hier angeführten Anekdoten widersprochen: Hier entsteht vielmehr das Bild eines sensiblen, äußerst humorvollen, auch ironischen Menschen, der in vielem sehr viel „normaler“ war als die zahlreichen, an einer Kafkalegende strickenden Literaturkritiker wahr haben wollten. Ein Lesevergnügen für jeden Kafkaliebhaber.
Hans-Gerd Koch (Hrsg.): „Als Kafka mir entgegenkam …“
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Dieser Band versammelt Erinnerungen, kurze Darstellungen von Menschen, die irgendwann mit Franz Kafka zusammengetroffen sind. Begegnungen, die ein etwas anderes, privates Licht auf Kafka werfen, die aber – manchmal – auch die Eitelkeit der Schreibenden verraten, denen das Erzählen über die eigene Person ein größeres Anliegen ist als über den Schriftsteller zu berichten. Im Vorwort wird bereits darauf hingewiesen, dass manche Beiträge gerade wegen dieser Umstände in den Band überhaupt nicht aufgenommen wurden, zum anderen aber gelingt es durch Fußnoten (die offenkundig falsch Erinnertes berichtigen) bzw. anhand von Sprache und Darstellung recht gut, zwischen offenkundig Imaginiertem und der Realität zu unterscheiden.
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