Waughs zweiter Roman Vile Bodies erschien 1930 und brachte ihm den literarischen Durchbruch. Mit der Übersetzung des Titels (mit beiden Übersetzungen!) kann ich mich, nebenbei gesagt, nicht so recht anfreunden: Lust und Laster klingt viel zu verdorben für die harmlosen Dinge, die diese Gruppe junger Leute, um die sich der Roman dreht, treiben – nachts bis in die Puppen aufbleiben, Party feiern mit viel Alkohol (aber keinen andern Drogen), Pferdewetten platzieren und Automobil-Rennen auf den Kopf stellen. Das schwache Fleisch wiederum impliziert einen starken Willen. Und den haben die gedankenlos agierenden jungen Menschen dieses Romans halt – auch nicht. Allerdings ist schon der Originaltitel seltsam. Wahrscheinlich (so genau weiss man das offenbar gar nicht) bezieht sich Waugh auf eine Stelle in Pauli Brief an die Philipper 3, 20+21:
Denn unsere Heimat ist im Himmel; von dort erwarten wir auch als Retter den Herrn Jesus Christus,der unseren armseligen Leib [vile body] verwandeln wird in die Gestalt seines herrlichen Leibes aufgrund der Macht, mit der er sich auch das All zu unterwerfen vermag.1)
Besser hätte mir der von Waugh zuerst angedachte Titel gefallen: Bright Young Things2). Denn diese jungen, 20- bis 30-jährigen Leute, um die sich der Roman dreht, sind tatsächlich so sorglos und unbekümmert, wie es sich im ursprünglichen Titel anhört.
Waughs Roman ist eine Satire auf die Londoner High Society vor dem Ersten Weltkrieg, mit ihren Stars und Sternchen, mit ihren Partys und Flirts. Im Mittelpunkt steht der junge Autor Adam Fenwick-Symes – ein Anti-Held, dem so ungefähr alles schief läuft, was schief laufen kann. Kaum haben wir ihn kennen gelernt, konfisziert der Zoll seinen Roman, mit dem er sich das Geld für seine Heirat verdienen wollte. Nun verbringt er fast den ganzen Rest des Romans mit dem Versuch, sich irgendwie das Geld zum Heiraten zu verschaffen. Er erhält einen Job als Society-Reporter, weil sich sein Vorgänger umbringt (er hat keine Einladung zu einer ungeheuer wichtigen Party erhalten!), verliert den Job seinerseits, weil er ein bisschen allzu freigiebig ist mit seinen Erfindungen, und muss zum Schluss sogar mit ansehen, wie sein Nachfolger im Job auch seine Verlobte kriegt.
Das Ganze ist eine wunderbare Satire auf die gedanken- und gefühllose High Society, die weit über den aktuellen Anlass gilt. Auch Evelyn Waugh überbordet mit seinen Ideen ähnlich wie sein Protagonist Adam. Nur so kann es sein, dass eine der rauschenden Partys der Bright Young Things sein Ende in Downing Street 10 findet – wo die übernächtigten und gar nicht mehr so munteren jungen Leute am nächsten Morgen von einer Meute Journalisten erwartet werden. Die harmlose Feier seiner harmlosen Tochter kostet den armen Premierminister seinen Job.
Der Roman schliesst mit einer geradezu apokalyptischen Vision: Adam, unterdessen Soldat, unterdessen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, irgendwo zwischen den Fronten verloren gegangen, hat in einem ebenso verloren gegangenen Auto zwei alte Bekannte, ein Männlein und ein Weiblein, entdeckt. Die haben allerdings kaum Zeit und Augen für ihn – sind nur miteinander beschäftigt, womit kann der Leser selber erraten. Adam marschiert alleine weiter.
And presently, like a circling typhoon, the sounds of battle began to return.
Schlussvorhang.
Der Roman ist eine absurde Komödie – viel näher an Becketts Warten auf Godot als an Wodehouse‘ Jeeves&Wooster-Geschichten, obwohl Wodehouse‘ Stories in etwa in derselben Zeit wie Vile Bodies spielen, Godot bereits einen zweiten Weltkrieg hinter sich hat. Der ‚Vater‘ von Vile Bodies ist wohl der in einer einführenden Vignette mit einem Auszug aus Alice: Through the Looking-Glass zitierte Lewis Caroll.
Waughs Roman ist – erzähl-technisch gesehen – sehr innovativ. Er verwendet eine Montage-Technik von Dialogen. Gesprächsfetzen aus einer Party werden – offensichtlich zusammenhanglos und doch einen Zusammenhang bildend – wie ein Puzzle zusammengesetzt. Der Roman besteht in grossen Teilen denn auch nur aus Dialogen. Viele davon sind telefonisch geführte Gespräche, wo sich der Dialog quasi als Dialog verselbständigt – das Einander-nicht-Verstehen trotz Miteiander-Reden zelebriert. (I see, ist eine der häufigen Antworten Adams auf telefonische Vorhaltungen seiner Verlobten – er sieht gar nichts, weder phyisch (seine Verlobte ist ja ganz woanders), noch geistig: er versteht nämlich nicht wirkich etwas, I see ist pure Floskel der Hilf- und Verständnislosigkeit.)
Vile Bodies mag nicht Waughs bester Roman sein, zu unbeholfen sind einzelne Teile manchmal zusammengeschraubt. Aber seine Dialogführungen sind einsame Klasse und amüsant ist die Geschichte um Adam Fenwick-Symes und seine Bright Young Things allemal.
1) Ich tue dem 1930 zum Katholizismus konvertierten Waugh natürlich, aber bewusst, Unrecht, wenn ich diese Stelle in einer – Zwingli-Übersetzung zitiere. Waugh gehört zu der grossen Menge jener Konvertiten, die im neuen Glauben zu extrem rigiden und konservativen Ansichten tendieren.
2) Unter diesem Titel hat Stephen Fry den Roman übrigens 2003 verfilmt.