Nominiert für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse 2016 in der Kategorie Sachbuch / Essayistik. Erschienen 2015 bei Matthes & Seitz, Berlin.
Jürgen Goldstein ist laut Klappentext Professor für Philosophie an der Universität Koblenz-Landau und versucht sich hier in einer etwas anderen Art der Biografie. Meine anfängliche Skepsis bei der Lektüre der ersten Seiten hat sich rasch gelegt: Das Experiment ist Goldstein nicht übel gelungen.
Er nämlich – schon der Untertitel, obwohl ein bisschen reisserisch geraten, deutet es an – versucht, eine Art intellektuelle Biografie, um nicht zu sagen philosophische Biografie von Georg Forster zu schreiben.
Goldstein gliedert Forsters Leben in 4 Grosskapitel, die er mit einer Einleitung (Anfänge) und einem Ende umrahmt. Die noch folgende Coda (Schluss: Das Mahagoni-Schränkchen) hätte er sich allerdings sparen dürfen; sie vermittelt den Eindruck, hier wollte der Autor zeigen, dass er auch eine literarische Biografie hätte schreiben können. Die Grosskapitel ihrerseits umfassen zum einen die beiden Gross-Ereignisse in Forsters Leben: seine Weltreise mit seinem Vater und James Cook (als Kapitel II) und sein Wirken für die kurzlebige Mainzer Republik (Kapitel IV). Kapitel III nennt sich nicht zu Unrecht Zwischenspiel. Jedem Grosskapitel geht eine auch durch kursive Schrift abgesetzte kurze eigentliche Biografie voran, eine Schilderung der äusseren Fakten und Ereignisse in Forsters Leben; das eigentliche Kapitel schildert die intellektuelle, bzw. philosophische Verarbeitung durch Georg Forster, die Art und Weise, wie er äussere Ereignisse in sein Denken integriert, wie sein Denken durch diese Ereignisse geformt wird.
Das Buch setzt ein mit einer Nacherzählung aus Herodot, jener Geschichte nämlich, die der alte Grieche von den noch ältern Ägyptern erzählt, die in einem Experiment zwei Kinder ohne jede Erziehung aufwachsen liessen, um bestimmen zu können, ob die ägyptische Sprache oder die phrygische die ursprüngliche sei. Es geht Goldstein dabei darum, die Idee des Geistes als tabula rasa einzuführen, wie sie kurz vor Forsters Zeit von Locke und Hume dann perfektioniert worden war: Der Mensch ist völlig von seinen Impressionen abhängig, es gibt keine angeborenen Ideen. Diesen Gedanken wird auch Georg Forster sein Leben lang verteidigen: Es gibt keine angeborenen Ideen, das Gedächtnis ist nur materiell. (Wohl auch das natürliche Credo des Autodidakten, der Forster im Grunde genommen war.)
Konsequenterweise war Forster sein Leben lang Anhänger der Praxis und nicht der Theorie. Diese Einstellung ermöglichte es ihm, fremden Kulturen offen und ziemlich vorurteilslos gegenüber zu stehen. Der edle Wilde, den Rousseau als theoretisches Konstrukt für seine Gesellschaftstheorie postuliert hatte, und den Cook und Banks im Einwohner von Tahiti in concreto gefunden zu haben glaubten, der aber auf der zweiten Reise Cooks einen erheblichen Image-Schaden erlitt, als sich herausstellte, dass unter den Wilden auch Menschenfresser waren (was letztlich Unterdrückung des Wilden erlaubte, seine Versklavung gar, weil er ja doch kein ganz richtiger Mensch war): Forster sah genauer und vorurteilsloser hin und entdeckte die Gemeinsamkeit des Weissen und des Indigenen – die Furcht nämlich, und die Wut. Nicht in seiner Ratio also, sondern in seinen Affekten zeigt sich die Gemeinsamkeit des Wilden und des Zivilisierten. Beides sind Menschen. Vielleicht hätten sich die Gräuel der Sklaverei verhindern lassen, wenn man – vor allem in Grossbritannien – Forsters Werk genauer gelesen hätte. Doch zu der Zeit von dessen Erscheinung war der kurze Ruhm der beiden Forster, die Cook auf der zweiten Reise an Stelle von Banks (der zu hohe Ansprüche gestellt hatte) als wissenschaftliche Beobachter mitgenommen hatte, in Grossbritannien schon verblasst. Georg Forster musste gar später seine Zeichnungen zu einem Spottpreis an Banks bzw. die Royal Society verkaufen. Sie gingen grösstenteils verloren. Georg Forster selber kehrte nach Deutschland zurück, wo es ihm allerdings nie mehr gelang, so richtig Fuss zu fassen. Er blieb zudem – wohl ein Überbleibsel einer in den Tropen aufgelesenen chronischen Krankheit – sein Leben lang leidend.
Forster, den Anhänger der Praxis, erleben wir auch in seiner öffentlichen Auseinandersetzung mit Immanuel Kant, die der Philosoph Goldstein ausführlich darstellt. Selten haben zwei mehr aneinander vorbei geredet, wenn es um die conditio humana ging, als Forster und Kant. Forster bezog sich in seiner Argumentation immer auf die Praxis und erwartete dasselbe von seinem Gegenüber. Er, Forster, hatte Könige gesehen, bei denen die Untertanen ohne grosse Formalitäten ein- und ausgehen durften. Er hatte auf dem Schiff gesehen, wie in Krisensituationen alle an Bord – die wissenschaftlichen Mitarbeiter ebenso wie die Offiziere und selbst Cook, der Kapitän – Hand anlegten. Er wusste also, dass es andere politische (bzw. Herrschafts-)Strukturen gab, als die in Europa aufzufindenden. Aber Kant beharrte auf seinem theoretischen Standpunkt – der dazu noch eurozentrisch war, ohne dass Kant dies allerdings realisierte.
In seiner Auseinandersetzung mit Kant fehlte Forster das eigentlich philosophisch-theoretische Rüstzeug. Als aber in Paris die französische Revolution ausbrach, musste Georg Forster nicht lange überlegen. All die theoretischen Postulate der Revolutionäre: Er hatte gesehen, dass dies in der Praxis möglich war, und er sah nicht ein, warum es nicht auch in Europa möglich sein sollte. Als die Revolutionsarmee Mainz besetzte, war es deshalb für Forster nur natürlich, sich der neuen Mainzer Republik zur Verfügung zu stellen. Er war zu jener Zeit verheiratet, hatte aber bereits miterleben müssen, wie seine Ehe mit Therese Heyne in die Brüche ging. (Lichtenberg vertraute seinem Tagebuch an, wie gerne er seinem Freund Forster in seinem Einsatz für das revolutionäre Gedankengut gefolgt wäre. Aber, seufzte der Göttinger Physiker, seine relativ frischen – und offenbar intakten – familiären Bindungen hinderten ihn daran. Auch Alexander von Humboldt, mit dem zusammen Forster 1790 – nach der Weltumsegelung, aber vor Mainz – eine ausgedehnte Reise unternahm, die sie ins Rheinland, in die Österreichischen Niederlande sowie nach Holland, England und Paris führte, verehrte seinen Mentor und Lehrer ein Leben lang. Es war Forster durchaus gegeben, Freundschaften zu schliessen. Nur konnten ihm seine Freunde nicht helfen.)
Eine ausgezeichnete und auch gut geschriebene Biografie. (Forsters eleganter Stil wird immer wieder hervorgehoben – da kann wohl der Biograf auch nicht ganz hinten an stehen!)
1 Reply to “Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt”