Michail Bulgakow: Das hündische Herz

Aus der Tatsache, dass Bulgakows Das hündische Herz 1925 von der Zensurbehörde zurückgewiesen wurde, zu folgern, dass wir es hier mit einer Satire auf die Zustände der noch jungen Sowjetunion zu tun haben, ist soweit richtig. Daraus zu folgern, dass wir es nur mit einer Satire auf die junge UdSSR zu tun haben, wäre aber falsch. Nur schon die Tatsache, dass das Werk erst gerade 2013 von Alexander Nitzberg wieder ins Deutsche übertragen wurde, diesmal anhand des Typoskripts letzter Hand (nachdem der Roman zuvor in stark entstellten Samizdat-Ausgaben zirkulierte), und dass ihn die Büchergilde in dieser Übersetzung 2016 mit Illustrationen von Christian Gralingen veröffentlicht hat, weist auf ein breiteres Interesse hin, als nur eines von Historikern der Sowjetunion.

Tatsächlich fügt sich Das hündische Herz auch nahtlos in die Geschichte der phantastischen Literatur ein, Abteilung künstlich erschaffene Menschen. Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski ist Arzt in Moskau, in ständigem Streit mit der prolatarischen Gesellschaft um ihn herum, die ihm seine 7-Zimmer-Wohnung wegnehmen will, bzw. weitere Bewohner hineinquetschen als nur ihn, seinen Assistenten, sein Mädchen und seine Köchin. Er ist Forscher und braucht Platz und Ruhe! Schliesslich erschafft er gerade einen künstlichen Menschen. Allerdings schafft er ihn nicht von Grund auf neu: Er nimmt die Hirnanhangsdrüse eines Verstorbenen und pflanzt sie Lumpi ein, einem Strassenköter, den er gerade zusammen gelesen hat. Der geheimnisvolle Funke, die Seele, über die die Romantiker so rätselten, und den Mary Shelley irgendwie elektrisch in Frankensteins Geschöpf pustete, ist also bei Bulgakow ein anatomisch leicht aufzufindendes Organ. Das Gruseln, das Meyrink mit seinem Golem in den verwinkelten Gässchen des Prager Judenviertels erzeugt, weicht bei Bulgakow dem Ärger des Schöpfers von Hundikow, dessen übler Charakter mehr und mehr zu Tage tritt, und der auch seinem Schöpfer gegenüber keinerlei Dankbarkeit zeigt. (Der verstorbene Spender der Hirnanhangsdrüse war ein Kleinkrimineller, und es war offenbar ein Fehler, dessen Organ zu verwenden.) Und die hehre Abgehobenheit eines Goethe’schen Homunkulus erreicht der nur aufs Jagen von Frauen und Katzen erpichte Hundikow schon gar nicht. Er ärgert seinen Schöpfer, und er amüsiert den heutigen Leser. Er ärgert seinen Schöpfer so sehr, dass er ihm in einer Nacht- und Nebelaktion gar die Drüse wieder herausoperiert. Der Krminalmiliz, die gekommen ist, Hundikow aus den Händen des Professors zu befreien, erklärt er die Tatsache, dass nunmehr wieder bloss ein (zwar noch ein paar Wörter sprechender und auf zwei Beinen laufender) Hund da ist, mit einem spontanen Atavismus.

Während der grosse Teil des Romans von einer neutralen Warte des auktorialen Erzählers aus berichtet wird, befinden wir uns zu Beginn und am Ende der Geschichte sozusagen im Kopf des Hundes und können so verifizieren, dass die Undankbarkeit des zum Menschen transformierten Hundikow keineswegs im Wesen des Hundes lag. Das hündische Herz ist also ein sehr menschliches. Weil Bulgakow uns diese Erkenntnis weitergeben kann (und weil der Roman wirklich saukomisch ist), ist seine Satire Das hündische Herz bis heute lesenswert.

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