Werner Kinnebrock: Kein Wissen ohne Glaube. Oder: Warum es unmöglich ist, nichts zu glauben

Das hat man davon, wenn man sich an der Leipziger Buchmesse als Blogger zu erkennen gibt. Ich wurde nämlich von einer netten Dame angeredet, ob sie mir nicht das neueste Buch aus ihrem Verlag für eine Rezension schicken dürfe. Ein Buch darüber, dass es unmöglich sei, nichts zu glauben. Ein evangelischer Verlag also (claudius); und ich wies die Dame darauf hin, dass ich’s nicht so mit dem Glauben hätte. Das mache nichts, versicherte sie. Ich hatte die Sache, ehrlich gesagt, rasch vergessen; tatsächlich dauerte es noch ein paar Monate bis das Buch mit einer Entschuldigung für die Verspätung bei mir zu Hause eintrudelte. 150 grosszügig bedruckte Seiten mit Inhalts- und Literaturverzeichnis sowie Namensregister. Der Autor, gemäss Klappentext ehemaliger Professor der Mathematik, war mir zuvor unbekannt. Das Buch blieb dann ein paar weitere Wochen liegen; erst in den letzten Tagen, als mir der Sinn nach nichts Besserem stand, nahm ich es zur Hand.

Ich hätt’s beinahe auch nach etwa einem Drittel wieder aus derselben gelegt. Kinnebrock kommt über den Idealismus eines Immanuel Kant auf sein Thema. Nämlich das Kant’sche Ding an sich hat es ihm angetan. Da der grosse Immanuel sich Eigenschaften nicht anders vorstellen konnte, als an irgendetwas angeheftet, er gleichzeitig der Überzeugung war, dass wir nur unsere Sinneseindrücke hätten, die uns über die Welt informierten, und dass diese unsere Sinneseindrücke keineswegs zuverlässig zu sein brauchen, ging er davon aus, dass hinter den Sinneseindrücken ein Ding sein müsse, an das sie geheftet seien, bzw. von dem sie ausgingen. Dieses Ding, letztlich unerkennbar, nannte er das ‚Ding an sich‘. Bei Kinnebrock wird aus dieser metaphysischen Hilfskonstruktion, die eigentlich ein Überbleibsel scholastischen Denkes ist, rasch eine, wie Kinnebrock es nennt übergeordnete Wirklichkeit. Beweise für diese Wirklichkeit hat er so wenig, wie Kant sein Ding an sich beweisen konnte; denn, sagt Kinnebrock, wenn er Beweise hätte, wäre es Wissen und nicht Glauben. Zusammen mit der Tatsache, dass wir bei jeder wissenschaftlichen Theorie vorgängig Angaben treffen müssen, die als Voraussetzung der Theorie verwendet werden, ist das für Kinnebrock genügend ‚Beweis‘, um an Gott zu glauben. (Auch der Atheist glaube, nämlich, dass kein Gott sei, meint er. Aber das ist nicht ganz so einfach: Die Überzeugung, keine metaphysischen Entitäten vorzufinden, ist der, welche vorzufinden, diametral entgegengesetzt. Indem ich nicht an Gott glaube, glaube ich auch nicht daran, dass dieser Gott in den Lauf der Welt eingreife, eingegriffen habe, in der Zukunft eingreifen könne. Da macht es sich Kinnebrock – z.B. mit Freuds Kritik am Glauben – etwas zu einfach.)

Kinnebrocks Vorgehen ist im Grunde genommen – und er beruft sich auch auf den Dänen (und auf Dostojewskij!) – nichts anderes als Kierkegaards berühmter Sprung in den Glauben, der für so viele metaphysisch-logische Schlampereien herhalten muss.

Dass ich das Buch schliesslich nicht abgebrochen habe, ist der Tatsache zu verdanken, dass des Autors metaphysischer Furor nach den ersten sechs Kapiteln abebbt. Der Rest sind Exkurse gegen Astrologie, Homöopathie und ähnliches, denn der Autor fühlt sich in der Pflicht, den ‚echten‘ Glauben (Kinnebrock outet sich im Büchlein als evangelischer Christ) von falschem Glauben (Aberglauben und Ideologien) zu sondern. Er bleibt dabei aber mehr oder weniger beschreibend, und so findet sich darin sogar einiges, dem ich zustimmen kann. Allerding misslingt ihm dadurch jede Abgrenzung, da, was man z.B. gegen Astrologie sagen kann, auch aufs Christentum angewendet werden kann.

Ein Buch von einem philosophisch-theologischen Laien für philosophisch-theologische Laien, dessen viele Logik-Fehler mir die Lektüre beinahe ganz verdorben hätte. Zu lesen braucht man es trotzdem nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert