In der Zeit nach dem Deutschen Idealismus beginnt die Philosophie immer mehr an sich selbst zu zweifeln: Zahlreiche Wissensgebiete werden nun mehr und mehr von den Naturwissenschaften (höchst erfolgreich) abgedeckt – und die Systemphilosophie ist mit Hegels „großem“ Wurf offenkundig zu Grabe getragen worden. Sodass auch die Philosophie unter einem der Theologie ähnlichem Platzmangel zu leiden beginnt: Die große metaphysische Spielwiese wird Stück um Stück zurechtgestutzt, bis man sich statt als Akteur bestenfalls noch als selbsternannter Schiedsrichter wiederfindet, der von den Beteiligten wenig Anerkennung erfährt oder aber völlig ignoriert wird. Ihre Versuche selbst zur Wissenschaft zu werden, finden in der Zunft selbst kaum Anerkennung: So liest man bei Wittgenstein, dass „alles, was der Fall ist“, nur den Naturwissenschaften zugängig ist und die Philosophie sich mit der „Klärung“ dieser Sätze begnügen müsse. Zuvor schon war Dilthey um eine Teilung bemüht in Geistes- und Naturwissenschaften, in ein Erklären und Verstehen, aber der hermeneutische Zirkel wird allzu leicht zu einem Sich-Drehen im Kreis um die eigene philosophische Mitte: Man interpretiert sich nur noch selbst und findet in dieser Nabelschau seine Befriedigung. Einzig die Wissenschaftstheorie gab – als Nachfolgerin der Epistemologie – Grund zur Hoffnung: Wie kommt die Wissenschaft zu ihrem Wissen und was ist das eigentlich – Wissen?
Wissen ist – definitionsgemäß – gerechtfertigter, wahrer Glaube. Und Wissen erhebt einen Geltungsanspruch, es gibt vor mehr zu sein als eine bloße Vermutung – und die Unterscheidung zwischen Wissen und Gewissheit nebst der Erkenntnis, dass diese Gewissheit unerreichbar ist, darf zum raren Wissensbestand der Philosophie gezählt werden. Damit ist auch ihre Struktur als Metawissenschaft, die sich für ihre Ableitungen der Logik bedient, angesprochen – und gleichzeitig wird durch den oben skizzierten Wissensbegriff sehr vieles ausgeschieden, das sich einer phänomenologischen Schau bedient oder aber bloß „erzählt“ (wie Adorno oder Marquard). So gesehen „wissen“ die letztgenannten Philosophen nichts, sie ahnen vielleicht oder orakeln in fundamentalontologischer Weise vor sich hin: Aber Wissen? – Wissen kann das wohl kaum genannt werden.
Bei Schnädelbach liest sich das ähnlich, obgleich etwas verschwommener. Er unterteilt sein Buch in Kapitel, die mit „Urteil“, „Sinn und Bedeutung“ oder „Subjekt – Objekt“ überschrieben sind und analysiert diese Begriffe: Um irgendwann in einem solchen Abschnitt festzustellen, dass man da nun doch etwas weiß oder – noch häufiger – weiß, dass man etwas nicht weiß oder gar nicht wissen könne. Diese Kapitel sind unterschiedlich gut lesbar, die ersten, die sich mit Frege (Sinn und Bedeutung), der Wahrheit oder auch dem Wissen an sich auseinandersetzen, sind sehr lesbar und informativ, dann aber folgt einiges über das „Ich“ (nebst abgeleiteten Problemen wie dem des Bewusstseins oder der Subjekt-Objekt-Dichotomie), Teile, die das Nichtwissen der Philosophie eindrucksvoll dokumentieren. Schnädelbach hat sich in seinem Philosopenleben oftmals mit dem Deutschen Idealismus auseinandergesetzt und sieht sich – etwa bei der Reflexion über das „Ich“ bemüßigt – Fichte, Hegel (und als Korrektiv Kant) zu zitieren. Das so Erörterte hat nun aber mit Wissen wirklich rein gar nichts zu tun und es scheint dem Autor das Eingeständnis schwerzufallen, dass über diese Bereiche heute Gehirnforschung und Neurobiologie das letzte Wort haben (und wenn man denn als Philosoph sich des Themas trotzdem bemächtigt und irgendetwas zu präsentieren sich anschickt, was „Wissen“ genannt werden kann, kommt man zumindest nicht umhin, diese Forschung zur Kenntnis zu nehmen).
Gegen Ende des Buches werden ethische Fragen erläutert – und auf diesem Gebiet ist es mit dem Wissen erst recht nicht sehr weit her. Schnädelbach ergeht sich in Untersuchungen über Termini wie Objektwert und Wertobjekt, versucht durch eine Analyse der Begriffe Wert, Tugend und Norm einen vorgeblichen Tiefsinn und eine Genauigkeit zu suggerieren, die schon wegen der Schwammigkeit der Begriffe (und der Autor unterlässt es, durch präzise Definitionen dieser Ungenauigkeit entgegen zu treten) ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Dabei kann man in Bezug auf die Moralphilosophie zumindest eines mit ziemlicher Sicherheit feststellen (und auch wissen): Dass sich Werte oder Normen nicht letztgültig begründen lassen – und schon gar nicht durch einen Bezug auf die Realität, die Natur (dem naturalistischen Fehlschluss widmet Schnädelbach ein hinwiederum recht ansprechendes Kapitel).
Letztlich aber kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier einem Autor weniger darum ging zu zeigen, was denn Wissen in der Philosophie oder in philosophischer Hinsicht bedeutet, sondern er seine eigene Haltung zu den großen Problemen der Philosophie dem Leser darlegen wollte. Dagegen ist nichts einzuwenden, mit der im Titel aufgeworfenen Frage aber hat das recht wenig zu tun. Keinesfalls ist das Buch – wie im Klappentext behauptet wird – gar als ein „brillianter Grundkurs in Philosophie“ zu lesen: Denn weder wird versucht, Probleme erschöpfend und objektiv darzustellen noch sind die Sprache und der Anspruch auf Vorbildung geeignet, einem Einsteiger nicht alle Lust zum Philosophieren zu nehmen. Als Beispiel kann das letzte Kapitel dienen (Synthetisch-Analytisch), das mir durchaus gefallen hat, aber im Grunde voraussetzt, dass man Quines Aufsatz zu den beiden „Dogmen des Empirismus“ kennt. Und ich kenne promovierte Philosophen, die von diesem Artikel Quines noch nie gehört haben (die Darstellung der Kritik Quines ist Schnädelbach auf den wenigen Seiten sehr gut gelungen). Ein interessantes, kontroverses Buch, das aber manch philosophische Vorurteile bestätigt und dessen im Titel erhobener Anspruch nicht eingelöst wurde.
Herbert Schnädelbach: Was Philosophen wissen. München: Beck 2012.