Roswin Finkenzeller: Schach

Ein amüsantes, gut geschriebenes Büchlein über das Besondere des Schachspiels bzw. all derer, die diesem Spiel mit Hingabe frönen. Denn es ist etwas Besonderes um die Klientel, die sich den Feinheiten von Zugumstellungen oder Schwerfigurenendspielen mit Läuferbauern widmet.

Allerdings wird wohl nur jener unterhalten werden, der mit den 64 Feldern auf einigermaßen vertrautem Fuß steht. Denn Sinn und Witz der verschiedenen, zum Besten gegebenen Anekdoten erschließen sich nur dem Eingeweihten, all jenen, die schon mal 9 Tage en suite im Schachsaal verbracht haben und denen während der vier, sechs oder mehr Stunden am Brett ganz sicher nie langweilig wurde. (Abgesehen davon, dass man die restlichen Wachstunden mit posttraumatischer Analyse und der Vorbereitung für den neuen Gegner zubringt, der allerdings nur im seltensten Fall genau jene Eröffnung wählt, auf die man sich ausgiebig vorbereitet.) Zu einer solchen Hingabe sind eben nur wenige fähig – und es sind häufig etwas sonderbare Charaktere.

Meine letzte Turnierpartie liegt schon mehr als ein Vierteljahrhundert zurück und der Grund, warum ich nicht mehr auf dem Altar Caissas meine Stunden opfere, liegt nicht unwesentlich an den erwähnten Charakteren. Die sich nach meinem Dafürhalten durch einen meist krankhaft anmutenden Ehrgeiz auszeichnen und Partien als eine Art Intelligenztest zu betrachten pflegen: Verlieren bedeutet also auch geistige Erniedrigung. Deshalb gibt es kaum irgendwo weniger fair play als im Schach (in meiner ebenfalls recht kurzen Fußballkarriere habe ich nicht annähernd jene Verachtung und Bösartigkeit erlebt) und noch heute sind mir wutentbrannte und krebsrote Gesichter in Erinnerung, die nach Niederlagen selbst die elementarsten Formen der Höflichkeit zu vergessen schienen. (Ein Oberstudienrat hat mir sogar den Tod seines Hundes angelastet: Weil ich in kein Remis eingewilligt und ihn über 6 Stunden gequält hätte (aus meiner Sicht übrigens mit Erfolg), wäre sein Pudel zuhause elendiglich verdurstet. Und mich – tags darauf – die Faust geballt mit ebenjenem Haustier verglich, das er – seiner Figur nach zu schließen – nicht eben selten zu verzehren beliebte.) Das war natürlich auch amüsant, durch den unterschwelligen Ernst und die Wut der Betreffenden aber auch enervierend: Schach ist für die allermeisten definitiv kein Spiel und zumeist nur dann mit Vergnügen verbunden, wenn sich der entsprechende Erfolg einstellt. Da ich – bezüglich Ehrgeiz – weitgehend unbleleckt durchs Leben hample, fühlte ich mir dort einigermaßen fremd.

Trotzdem bleibt unbestritten (und das vorliegende Buch hat mich das wieder spüren lassen), dass Schach eine ausnehmend faszinierende Angelegenheit darstellt. Schach besitzt eine Ästhetik, die sich mit der Mathematik vergleichen lässt, manche Kombinationen kann man nur als “wundervoll” bezeichnen (so auch das Damenopfer in der letzten und entscheidenden Partie von Carlsen gegen Karjakin bei der WM 2016), eine Schönheit, die dem Laien seltsam anmutet (wie auch der Verächter der Mathematik einer Gleichung ein bewunderndes Attribut versagen wird). Nach meinem Dafürhalten war die in den 80er Jahren eingeführte, obligatorische Elo-Wertung einer der Gründe, weshalb viel vom Spielerischen im Schach verloren gegangen ist: Nun trug jeder seine Bewertungszahl vor sich her (oder versteckt dieselbe bzw. fand unendlich viele Gründe, weshalb diese denn doch nicht die objektive Spielstärke widerspiegle) wie den Heiligen Gral. Man spielte nicht um des Spieles willen, sondern um einen Zugewinn zu besagter Zahl zu erreichen.

In einem möchte ich aber Finkenzeller noch widersprechen: Dass Schachspieler – wie von ihm beschrieben – sich meistenteils nur an Mineralwasser delektieren, halte ich für ein Gerücht (wenigstens widerspricht es meinen Erfahrungen). Im Gegenteil – selbst auf höchster Ebene (wie der vom Autor bezüglich seiner Trinkgewohnheiten geschilderte Aljechin) – wird ziemlich gesoffen. Davon zeugen Partieformulare, deren zusehends stärker werdende Unleserlichkeit keineswegs auf die (etwa für mich obligatorische) Zeitnot zurückzuführen waren: Und nicht immer war der Nüchterne auch der Erfolgreiche. – Das Büchlein aber ist angenehm und kurzweilig – für Schachspieler.


Roswin Finkenzeller: Schach. Kleine Philosophie der Passionen. München: DTV 1999.

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