Volker Weiß: Die autoritäre Revolte

Die „neue Rechte“ gibt Anlass zu zahlreichen Veröffentlichungen, die aber zumeist ziemlich trivial und wenig geistreich ausfallen. Dies ist beim Buch von Volker Weiß anders: Kein Lamento über den aufziehenden Untergang des Abendlandes oder die Einfalt von Pegida-Teilnehmern, sondern eine konzise Analyse dessen, was diese neue Rechte umtreibt und wo ihre geistigen Väter zu finden sind.

Thilo Sarrazin ist für Weiß derjenige, der zuallerst ausländerfeindliches und versteckt rassistisches Gedankengut salonfähig gemacht hat. Ein honoriger SPD-Politiker wird anders behandelt denn ein grölender Neonazi – und wenn jener in der Einwanderung eine Gefahr erblickt, so sind diese umso mehr berechtigt, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen. Aber dieser Tabubruch war inhaltlich ganz und gar nicht entscheidend: Denn der neuen Rechten geht es bestenfalls in zweiter Linie um Einwanderung oder der Furcht vor Überfremdung (was auch immer das sein soll), Hauptfeind ist vielmehr der (linke) Liberalismus, dem die Auflösung der „echten“ Werte zugeschrieben wird, der Identitätsverlust zur Folge hat und durch falsch verstandene Toleranz und als absolut begriffene Menschenrechte erst das Immigrationsproblem virulent werden lässt. Die Einwanderer, „der Islam“ – das sind Gegner, denen man sich stellen kann (und die in einem mannhaften Kampf besiegt werden können): Der westliche Liberalismus aber ist der innere, alles zersetzende Feind. Islamisten können sogar akzeptiert werden: Unter der Voraussetzung, dass sie sich auf ihre „angestammten“ Räume beschränken. Und man bringt ihnen teilweise Verständnis entgegen: Dahingehend, dass sie sich weigern, die Gesetze des westlichen Liberalismus zu akzeptieren.

Deshalb auch die große Sympathie für die autokratisch geführten Staaten des Ostens: Ungarn, Polen, die Slowakei, Tschechien – und allen voran natürlich das Russland unter Putin. Dessen Ansichten über die Dekadenz und dem darauf folgenden Untergang des Westens werden von den Rechten allüberall geteilt, man findet sich zu gemeinsamen Treffen und Symposien zusammen (zumeist unter Ausschluss der Öffentlichkeit) und sieht sich als Vorkämpfer alter Ideale: Für ein antiquiertes Familienbild und Patriotismus, gegen Gender-Mainstreaming und die Homosexuellenlobby, die nach diesen Ansichten seit einiger Zeit die Macht im Westen übernommen habe. Vor allem aber gegen jede Form eines Universalismus und Einmischung von außen (im Sinne von allgemein akzeptierten Menschenrechten): Schon Mussolini hatte sich über diese unberechtigte demokratische Einflussnahme gegenüber autokratischen Regimen gewandt. Und diese Politik einer Nichteinmischung wird von allen diesen Gruppen vertreten: Niemand sei berechtigt, sich in die „inneren“ Angelegenheit eines Staates einzumischen, da niemand eine universalistische Moral beanspruchen könne.

Die Flüchtlinge bzw. der Islam sind für diese rechten Gruppen nur ein ihnen gelegen kommender Anlassfall, um die Auswirkungen eines liberalistischen Staatswesens zu dokumentieren. Tatsächlich bedrohlich aber ist eben der innere Feind, der zum Identitätsverlust des Volkes führt (in Österreich ist die Gruppe der „Identitären“, die sich zwar vom Nationalsozialismus abzugrenzen vorgeben, tatsächlich aber ein völkisch-konservativ-frauenfeindliches Menschenbild propagieren, relativ stark – und sie ist zumindest teilweise mit der FPÖ verbunden). Wenn die Ereignisse der Kölner Sylvesternacht von rechten Gruppierungen medial ausgeschlachtet werden, so ist dies reine Propaganda: „Man stört sich weniger an den Belästigungen an sich als vielmehr daran, dass diese von ‚Fremden‘ begangen wurde.“ Das Paradoxe solcher Haltungen zeigt sich auch darin, dass selbst chauvinistische Rockerbanden die Rechte der Frauen entdecken und beschützen zu müssen glauben: Nämlich die Rechte ihrer Frauen, das heißt ihre Rechte über diese Frauen.

In diesem Zusammenhang kritisiert Weiß auch das einer verqueren Toleranz geschuldete Authentizitätsgeschwafel bezüglich der islamischen Kultur: Aus Angst, kolonialer Verhaltensmuster geziehen zu werden, wird die Unterdrückung der Frau durch den Hinweis auf die „Kultur“ des Islam gerechtfertigt. Das geht so weit, dass sich ein islamkritischer Autor wie Kamel Daoud, der sich gegen diese Unterdrückung aus einem islamischen Land (Algerien) heraus wendet*, von westlichen Intellektuellen als jemand bezeichnet wird, der sich „islamophober und orientalischer Klischees“ bedient. Kritik aus der Komfortzone nennt dies Weiß. Andererseits ist die ständige Betonung des Respekts vor anderen Traditionen Teil eines zutiefst konservativen Menschenbildes und jener Doktrin der Nichteinmischung, die die so sehr auf ihre Identität Bedachten durchzusetzen wünschen: Menschenrechte sind nicht universal (wie schon Alain de Benoist betont, einer der Hauptstichwortgeber der neuen Rechten), sie sind relativ und situationsgebunden.

Das Kuriose an all diesen Protesten ist, dass sie sich erstmals nicht gegen eine Autorität wenden, sondern für eine solche eintreten, auch für eine Beschränkung der eigenen Freiheiten, die durch liberal-universalistische Verfassungsstrukturen gewährleistet werden. Wenn davon gesprochen wird, dass das Abendland der Rettung bedarf (ein Begriff, dem Weiß eine ausführliche Analyse widmet und der sich als aufnahmefähig für alles und jedes erweist), so ist eigentlich die Rede von der eigenen Angst, möglicherweise zu den Wohlstandsverlierern zu zählen. Der Islam als ein – gerade zur Verfügung stehendes – Feindbild, tatsächlich aber die Sehnsucht nach Machtstrukturen, die von Entscheidungen entbinden und Gemeinschaftsgefühle vermitteln. Das Subjekt hat nur Bedeutung als Teil von etwas Größerem, der Kultur, des Volkes der Religion (die Frau an sich hat in jeder Religion eine Funktion zu erfüllen, zumeist eine sexuell aufgeladene: Sie wird verantwortlich gemacht für das Verhalten der Männer, die ihrer Anziehungskraft hilflos ausgeliefert sind – keineswegs eine originär islamistische, sondern eine auch in der Geschichte des Christentums zu verfolgende Ansicht). Das Subjekt als solches ist rechtlos und gilt nur etwas im Kollektiv, dessen Rechte werden aus einer vermeintlich idealen Vergangenheit hergeleitet, als das Volk (die Kultur usf.) noch eine funktionierende Einheit war.

So brilliant das Buch Entstehung und Gründerväter (immer wieder Carl Schmitt) der neuen Rechten beschreibt, so hilflos wirkt es bezüglich der Konsequenzen dieser Entwicklung. Eine Hilflosigkeit, die aber nachvollziehbar ist, gerade weil man kaum auf etwas anderes denn eine „tatsächliche“ Aufklärung rekurrieren kann, für die „gewaltige Anstrengungen nötig sein werden“. Denn es ist ein Irrtum anzunehmen, dass unser freiheitlicher status quo eine Selbstverständlichkeit darstellt, hinter den es kein zurück mehr gibt. Der gesamte angloamerikanische Bereich verweigert sich zusehends einem solch universalistisches Credo (Brexit und Trump), wodurch gerade die Länder, die als Vorreiter einer offenen, liberalen Gesellschaft galten, sich in eine selbstgewählte Isolation begeben. Das kann eine Momentaufnahme sein, aber auch die Einleitung einer Entwicklung, die zu Abschottung und verminderten Freiheitsrechten führt. Der liberale, säkulare Staat muss zeigen, dass er für den Großteil der Bevölkerung das bessere Angebot hat: Und das wird tatsächlicher einiger Anstrengung bedürfen.


*) „Wem gehört der Körper einer Frau? Ihrer Nation, ihrer Familie, ihrem Mann, ihrem älteren Bruder, ihrem Viertel, den Kindern ihres Viertels, ihrem Vater und dem Staat, der Straße, den Ahnen, ihrer nationalen Kultur, ihren Verboten. Sie gehört allen und jedem außer sich selbst. Der Körper der Frau ist der Ort, an dem sie ihren Besitz und ihre Identität verliert. In ihrem Körper ist die Frau nur Gast, dem Gesetz unterworfen, das sie besitzt und sie enteignet. Sie steht für die Ehre aller ein, nur nicht für die eigene, die nicht ihr gehört.“


Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart: Klett-Cotta 2017.

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