Hans Albert: Plädoyer für kritischen Rationalismus

Diese 1971 erschienene Sammlung von Essays beziehen sich großteils auf die damals aktuellen Auseinandersetzungen zwischen dem Kritischen Rationalismus und den Vertretern der Frankfurter Schule – allen voran Jürgen Habermas. Und so ist es erstaunlich, dass die Ausführungen von Hans Albert nichts von ihrer Brisanz verloren haben: Denn die Philosophie löst sich nur schwer von liebgewordenen Gewohnheiten.

Im ersten Aufsatz stellt Albert das Programm des Kritischen Rationalismus vor und verweist auf die lange Tradition des kritischen Denkens bereits in der Antike. Über allem steht dabei die kritische Prüfung von Aussagen – nichts darf von einer solchen Prüfung ausgenommen werden. Der der Theologie zugrunde liegende Dogmatismus bzw. die Autoritätsgläubigkeit gehören damit zu den verwerflichen philosophischen Strategien, wobei er – vor allem im letzten Aufsatz „Hermeneutik und Realwissenschaft“ auf vergleichbare Strömungen im hermeneutischen Ansatz Heideggers bzw. Gadamers hinweist. (Er nimmt Dilthey, den Begründer der Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften, aber explizit von diesem Vorwurf aus: Denn Dilthey habe großes Interesse an den Realwissenschaften gezeigt und auch kein Interpretationsmonopol für sich beansprucht.) Und genau ein solches Monopol wird den Auslegungen der Gadamerschen Schule häufig zugrunde gelegt: Kraft einer nicht weiter spezifizierbaren, exklusiven Einsicht in die Dinge wird ein Anspruch auf Wahrheit erhoben, der sich jeglicher kritischen Prüfung entzieht.

Solche Immunisierungsversuche durch Deutungshoheit sind auch in der Kritischen Theorie zu finden: Sowohl Apel als auch Habermas haben zeitlebens den Versuch einer Letztbegründung nicht aufgegeben – ob sie nun dafür eine ideale Kommunikationsgemeinschaft bemühen mussten oder eben nicht weiter hintergehbare Einsichten, wie sie im Neomarxismus vertreten wurden. Mit dem Blick auf die Gegenwart scheinen sich dabei nur die politischen Seiten zu ändern: Wobei schon immer linke als auch rechte Theoretiker (oft unter Bezugnahme auf die selben Denkschemata, so gab es einen Links- und einen Rechtshegelianismus) vor einer rationalen Kritik aufgrund wissenschaftlicher (nomologischer) Erkenntnisse zurückschreckten. Absolute Wahrheiten vertragen keinen Widerspruch.

Gemeinsam ist den verschiedenen Strömungen auch eine latente Wissenschaftsfeindlichkeit. Da Wissenschaft ohne Kritik undenkbar ist und ihr Fortschritt vor allem auf der Auseinandersetzung bzw. der Konkurrenz verschiedener Hypothesen beruht, ist sie ein natürlicher Feind aller Versuche zur Letztbegründung. Außerdem – und dies hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert – eignet den Geisteswissenschaftlern häufig eine gewisse Arroganz: Wie schon die Frankfurter Schule oder auch Heidegger und seine Nachfolger betrachten sie wissenschaftliche Erkenntnisse als unbedeutend für die Philosophie. Darin spiegelt sich eine Angst vor der Vertreibung aus dem Paradies: Wie schon die Theologie 200 Jahre zuvor einen Sonderstatus für sich beanspruchte, wehrt sich auch die Philosophie (oder die Soziologie der Frankfurter Schule bzw. der Neomarxismus eines Marcuse oder Horkheimer) gegen die Möglichkeit, in ihrem Bereich nomologische Ansätze fruchtbar zu machen.

Es ist dies ein Streit, den schon Max Weber ausfocht: Das von ihm formulierte Wertfreiheitsprinzip war zahlreichen prinzipiellen und ideologischen Einwänden ausgesetzt, wobei seine Gegner ihn häufig wissentlich missinterpretierten. So wurde etwa der von ihm propagierte, rationalistische Ansatz als eine bloß „bürgerliche Vernunft“ (was immer das sei) abqualifiziert, ein solches Denken sei für die Sozialwissenschaften unzulänglich bzw. würde (wie später von Habermas betont), den emanzipatorischen Erkenntnisinteressen widersprechen. Albert zeigt zum wiederholten Male, dass diese Aufgliederung in Erkenntnisinteressen völlig willkürlich und im Grunde nur eine weitere Immunisierungsstrategie darstellt. Eigenartigerweise wird dabei versucht, dem Weberschen Programm Irrationalität zu unterstellen, da eine wertfreie Wissenschaft völlig undenkbar sei. Dabei wird stets die Zweck-Mittel-Relation übersehen: Wissenschaft dient nicht bestimmten Programmen oder Werten, sie zeigt einzig den Weg zu deren Verwirklichung (oder auch deren Unmöglichkeit). Aber selbstverständlich können aus ihren Erkenntnissen keine Werte abgeleitet werden, dieser naturalistische Fehlschluss, den Weber nirgendwo begangen hat, wurde ihm häufig zu Unrecht unterstellt.

Gerade der aufkeimende Irrationalismus, die Wissenschaftsfeindlichkeit machen das Buch zu einem immer noch aktuellen Plädoyer für eine rationale und kritische Denkweise, die sich allen Absolutheitsansprüchen widersetzt. Aber die Politik – egal welcher Richtung – bedient sich gerne bei Konzepten, die eine absolute Wahrheit suggerieren: Mit solchen Ansätzen lassen sich einfache, auf simple Dichotomien fußende Problemlösungen propagieren, die dem Staatsbürger statt einer komplexen Welt einen völlig irrealen, aber nach ewig gültigen Prinzipien geordneten Kosmos versprechen. Sowohl in politischer als auch gesellschaftlicher Hinsicht sind Alberts Analysen überzeitlich, weshalb jedem die Lektüre dieses Buches nur empfohlen werden kann.


Hans Albert: Plädoyer für kritischen Rationalismus. München: Piper 1971.

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