Vernor Vinge: Ein Feuer auf der Tiefe

Vernor Vinge gehört zu den renommiertesten SF-Autoren; für das vorliegende Buch wurde ihm der „Hugo-Award“ für den besten SF-Roman des Jahres zuerkannt (diesen Preis erhielt er auch für den Nachfolgeband „Eine Tiefe am Himmel“. Und tatsächlich scheinen diese Lobeshymnen nicht ganz unberechtigt: Obgleich ich anfangs aufgrund der zahlreichen Erzählstränge einigermaßen skeptisch war, gelingt es Vinge nicht nur, diese zu einer in sich stimmigen Handlung zusammenzuführen, sondern er besticht auch durch überaus originelle Aliens und geistreiche Einfälle, ohne dies – wie es öfter zu geschehen pflegt – zu übertreiben.

Wir befinden uns in der Zukunft, die Milchstraße ist weitgehend von Zivilisationen durchzogen, wobei die äußeren Zonen von „Mächten“ bewohnt werden, die sich zumeist nicht weiter um die anderen Lebewesen kümmern. Die Menschen sind auf zahlreichen Planeten zu finden, sind eine intelligente Art unter anderen, man betreibt Handel, kommuniziert über ein Datennetz (die Darstellung dieses „Netzes der Lügen“, das auf prophetische Weise das Internet vorwegnahm, trug viel zur Bekanntheit von Vinge bei), bewegt sich (unter bestimmten Voraussetzungen) mit Über-Lichtgeschwindigkeit. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, als die Menschen von Sjandra Kai eine lange verborgene, dunkle Macht entfesseln (in weiterer Folge „Pest“ oder „Perversion“ genannt). Einem einzelnen Schiff gelingt es auf der Flucht ein für dieses gestalt- und gesichtslose Böse wichtiges Element zu retten, sie landen auf einem bislang unbekannten Planeten (von „Rudelwesen“ bewohnt, Wesen, die aus mehreren (hundegleichen) Einzelwesen bestehen, welche untereinander auf telepathische Weise kommunzieren und sich nicht zu weit voneinander entfernen dürfen, um überlebensfähig zu sein, andererseits aber auch anderen Rudelwesen nicht zu nahe kommen können, weil dadurch diese Kommunikation verwirrt würde). Diese Rudelwesen sind durchaus intelligent, befinden sich aber noch in einer Art „Mittelalter“: Es gibt Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen. Nach der Notlandung werden die Erwachsenen bei einem Angriff getötet, jeweils eine Gruppe der rivalisierenden Rudelwesen entführen je ein Kind des Raumschiffs.

In einem zweiten Handlungsstrang werden die Vorgänge auf Relais (einer interstellaren Station) geschildert: Ravna (Homo sapiens), Pham, ein von einer Macht erschaffener, aus mehreren Körpern zusammengestellter „Mensch“, Blaustiel und Grünmuschel (vegetative Wesen auf einem fahrbaren Untersatz) bekommen von der sich ausbreitenden Pest aber auch von den vom abgestürzten Raumschiff automatisch ausgesandten Codes Nachricht und machen sich mit einem Raumschiff (kurz bevor Relais von der Pest zerstört wird) auf zum Planeten der Rudelwesen – verfolgt von einer Flotte der Pest. Und dort kommt es zum Showdown: Der Kampf der „bösen“ und „guten“ Rudelwesen wird mit dem Wettrennen zum abgestürzten Schiff verknüpft – mit mehr-weniger gutem Ausgang.

Das alles ist nicht nur gut komponiert, sondern auch überaus originell. Die Rudelwesen sind eine epistemologisch äußerst interessante Rasse (ihr mangelnder Fortschritt trotz beachtlicher Intelligenz lässt sich auf die Unmöglichkeit der Kooperation der Wesengruppen untereinander zurückführen), die sich durch die Vielfalt dieser Wesen ergebenden moralischen Implikationen werden überaus klug dargestellt – und auch alle andere „Aliens“ unterscheiden sich von den üblichen (häufig platt monströsen) Konstrukten sehr angenehm (die vegetativen Wesen haben kein Kurzzeitgedächtnis, dieses wird ihnen künstlich durch einen Fahrapparat zur Verfügung gestellt – aber sie fühlen dennoch immer die Sehnsucht nach einer Rückkehr zu einer solchen statischen Existenz, die von einem der Wesen schließlich auch verwirklicht wird). Selbst die Pest – trotzdem sie völlig gestaltlos agiert, nur eine Art Geist ist – wirkt plausibel und wohl auch furchterregender als die üblichen anthropomorphen Monster, mit denen man konfrontiert wird. Und auch die SF-Physik wirkt einigermaßen stringent, sie fußt auf der räumlich unterschiedlichen Geltung der Naturgesetze (die Milchstraße wird in verschiedene Schalen aufgeteilt, wobei etwa im Zentrum der Galaxie aufgrund der dortigen Gesetze kein höheres Leben möglich ist, im „Transzens“, dem äußersten Bereich sind hingegen übermenschliche KIs als auch die Lichtgeschwindigkeit weit übertreffende Vorgänge möglich), auf Antigravitationsmechanismen (gut – nicht wirklich neu) und dem überall wirksamen Kommunikationsnetz (hier gibt es sich ausbreitende Viren, gezielte Fehlinformationen, Newsgroups mit Trollen und Paranoikern). – Eine wirklich angenehme, originelle und überraschend hellsichtige Lektüre, die mich freudig auch den zweiten Teil (der aber nicht direkt mit dem vorliegenden Buch verbunden zu sein scheint) bestellen ließ.


Vernor Vinge: Ein Feuer auf der Tiefe. München: Heyne 1995.

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