Doch das Faktenbasierte des Buches steht sich manchmal selbst im Weg: Wenn es etwa um die historische Aufarbeitung der verschiedenen Indianerkulturen geht, verkommt das Buch teilweise zu reinem „Name-dropping“. „Die Pataya-Kultur (Yuma: ‚die Leute‘) war entlang des Colorado angesiedelt und betrieb erst ab 600 n. Chr. Ackerbau; ihre Nachfahren sind die Pai (Yavapai, Hualapai und Havasupai) und Yuma (Chemechuevi, Cocopah, Maricopa, Mohave, Quechan und andere). Kleinere, erst in jüngerer Zeit unterschiedene Gruppen waren die Cohonina südlich des Grand Canyon, die Cerbat und Laquish am Colorado und die Prescott-Leute Zentralarizonas.“ Von solchen Aufzählungen hat nun wirklich niemand etwas, weder Laie noch Fachmann. Es ist dies ein allgemeines Problem von Sach- und Fachliteratur: Will ich einen Überblick vermitteln oder aber eine bestimmte Thematik ausführlich darstellen. Man muss allerdings wählen, beides ist kaum möglich (oder aber würde den Umfang jeden Buches sprengen).
Ähnlich bei der Paläoastronomie (oder Astroarchäologie): Selbstredend sind die Erkenntnisse über das astronomische Wissen der Völker aufschlussreich für ihre Kultur und lassen umfangreiche Rückschlüsse auf ihre Sozialleben zu. Es kann aber nicht in einer Aufzählung sämtlicher Bauwerke, Dörfer etc. bestehen nebst ihrer Ausrichtung nach den Wendepunkten der Sonne, den Tag- und Nachtgleichen oder dem Aufgang markanter Sterne. Schon nach den ersten beschriebenen Anlagen schwirrt dem Leser der Kopf (und die beigefügten Zeichnungen sind auch kein Ausbund an Klarheit), wiederum wird zu viel untergebracht, anstatt die grundlegende Bedeutung dieser Kenntnisse für die Völker darzustellen, den Zusammenhang mit der Landwirtschaft (der nur kurz erwähnt wird) oder mit Mythologien und Ritualen.
Dass es auch besser geht zeigt das Kapitel über die Indianersprachen: Ausgehend von einer Kritik der Sapir-Whorf-Hypothese werden die Implikationen der Fehlinterpretationen von Whorf (etwa die – falsche – Annahme, dass die Hopi keine Wörter für Zeitbegriffe hätten) analysiert (weder ein strenger Determinismus von Sprache und Denken (bzw. Leben) als auch ein Relativismus, der von durch die Sprache verursachten, unterschiedlichen Lebensentwürfen ausgeht, die eine Verständigung – angeblich – unmöglich machen würde, hat sich als tragfähig erwiesen, im Gegenteil: Es gibt keine indigene Gruppe, keine Sprache, die sich einer Übersetzung vollkommen entziehen würde) und im Anschluss daran wird eine gute Übersicht über die verschiedenen Sprachfamilien gegeben (wobei der Hinweis auf die keineswegs endgültig entschiedenen Auseinandersetzungen zwischen den Gelehrten nicht fehlt). In diesem Kapitel hat man das Gefühl, dass dem Autor die verständliche Darstellung ein wirkliches Anliegen ist und es ihm nicht nur darum zu tun ist, möglichst viel Wissen unterzubringen.
In den letzten Kapiteln wird ein Ausblick auf die Zukunft der Indianerkulturen gewagt (der wohl zu Recht pessimistisch aufällt), als auch manche Mythen über die „im Einklang mit der Natur lebenden Indianer“ zerstört: So haben immer wieder Völker Raubbau an den natürlichen Ressourcen betrieben und damit ihren eigenen Untergang herbeigeführt. Dazu kommt im Anhang ein Steckbrief verschiedener indianischer Sehenswürdigkeiten, die einen Besuch lohnen würden als auch Tipps für Reisende nach den entsprechenden Abschnitten. Inwieweit das tatsächlich sinnvoll – und immer noch aktuell – ist, vermag ich nicht zu beurteilen, ich werde jedenfalls nicht mit dem Buch in der Hand auf die Suche nach archäologischen Relikten die USA bereisen. Insgesamt lesenswert, aber manchmal – wie gezeigt – eine mühsame Lektüre. Positiv aber in jedem Fall das Bemühen um Historizität gänzlich ohne die typisch romantischen Klischeevorstellungen vom edlen Wilden (Indianer).
Günther Stoll, Rüdiger Vaas: Spurensuche im Indianerland. Exkursionen in die Neue Welt. Stuttgart, Leipzig: Hirzel 2001.