Leipziger Buchmesse 2019, Samstag. Oder: Wie sich der Teufel in Luft aufgelöst hat

Eigentlich hatte ich heute drei Veranstaltungen auf dem Radar. Zwei davon am Vormittag auf dem ‹Blauen Sofa›, eine gleich nach dem Mittag am ‹Schweizer Stand›. Eigentlich. Denn zum Glück kam es mir noch in den Sinn, unmittelbar nach dem Betreten der Messe rasch die elektronische Agenda des ‹Blauen Sofas› zu konsultieren.

Mein allererster Termin wäre eine Veranstaltung mit Eugen Drewermann gewesen: Gestalten des Bösen. Der Teufel – ein theologisches Relikt. Dies nicht, weil mich Theologie speziell interessieren würde. Jedenfalls nicht die Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts – wenn schon, dann die Kirchenväter und die Scholastiker, weil ihr Denken das Abendland für 1500 und mehr Jahre geprägt hat. Aber so als Kuriosum? Warum nicht. (Ich meine: Ob ich nun den Teufel weg disputiere, wie es Drewermann offenbar tut, oder nicht – ich habe immer das Problem der Rechtfertigung aller Übel auf dieser Welt. Die kann ich nun einem Teufel zuschreiben, und damit Gott zwar lieb, aber offenbar entweder nicht allmächtig machen oder dann leicht sadistisch veranlagt Disputiere ich den Teufel eben weg, bin ich gleich beim sadistisch veranlagten Gott. Die einzige saubere Lösung ist es da, gleich auch auf Gott zu verzichten. Aber, wie gesagt: Als Kuriosum hätte es mich interessiert.) Nun musste ich feststellen, dass die aktuelle elektronische Agenda des ‹Blauen Sofas› ein Streitgespräch über die Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen und Nonnen durch katholische Geistliche im ehemals für Drewermann reservierten Zeitfenster vorsah. Diese Missbräuche wiederum finde ich zwar eine riesige Schweinerei, und es ist gut, dass sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit gehalten wird, aber ich muss mir dazu keine verbalen Ergüsse selbst ernannter Spezialisten und Spezialistinnen anhören.

Somit hatte sich der protestantische Teufel also in katholische Luft aufgelöst, und mir blieben noch zwei Veranstaltungen. Die eine war zu Alexander von Humboldt, über den oder von dem gerade zwei neue Bücher erschienen sind: Der Andere Kosmos, eine Auswahl seiner sogenannt ‹unselbständigen Veröffentlichungen›, d.h., von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, die Alexander von Humboldt in den letzten 70 Jahren seines Lebens produziert hat. Für jedes Jahr einen Artikel, zu völlig unterschiedlichen Themen. Dieses Buch habe ich mir notiert. Dann eines von Andrea Wulf, mit Illustrationen einer Frau, deren Namen ich leider wieder vergessen habe. Dort wurde versucht, in Anlehnung an Humboldts eigene Zeichnungen und Tagebücher eine Art Collage zu seiner Südamerika-Reise zu erstellen. Es wurden einige dieser Bilder projiziert. Sie sehen ziemlich witzig aus, aber wenn der Moderator zum Schluss der Sendung meinte, dass dieses Buch auch für Jugendliche geeignet sei, so fürchte ich nach diesem Augenschein, dass es vor allem für Kinder und Jugendliche gemacht sein könnte – allenfalls noch für Liebhaber illustrierter Bücher. Auf meiner Leseliste aber ist es nicht gelandet.

Am Nachmittag dann war Franz Hohler Gast am ‹Schweizer Stand›. Von ihm ist gerade eine Sammlung seiner Gedichte herausgekommen. An dieser Veranstaltung merkte ich endgültig, dass ich alt werde. Ich war ein bisschen früher gekommen und hatte mich wartend hingestellt, bis die vorher gehende Veranstaltung zu Ende sei. Neben mir hatte sich eine ältere Dame (na ja: eine Dame in meinem Alter) auf eine der Holzkisten gesetzt, die dem ‹Schweizer Stand› als Bücherregal dienen. Ich kenne diese Holzkisten; ich habe sie als Student selber als Bücherregal verwendet. Und ich weiss aus eigener schmerzvoller Erfahrung, dass sie keineswegs lange das Gewicht eines erwachsenen Menschen zu tragen vermögen. Insofern wunderte es mich nicht, dass einer vom Personal des Stands angerannt kam, mit zwei Klappstühlen unterm Arm, wovon er den einen aufklappte und der Lady zur Verfügung stellte. Den zweiten klappte er ebenfalls auf und – stellte ihn mir zur Verfügung. Das Schlimmste: Ich nahm die Sitzgelegenheit dankbar an! Hohlers Gedichte wiederum sind manchmal leise und poetisch, manchmal spitz und ironisch. Immerhin kommt Hohler vom Kabarett her. Er hat in der Schweiz mit seinem Cello ungefähr das gemacht und hat auch in etwa denselben Ruf wie in Deutschland Hanns Dieter Hüsch mit seiner Philocorda-Orgel. (Sie haben meines Wissens auch zusammen eine CD herausgegeben.) Ich habe ihn – Schande über mich! – zum ersten Mal live gesehen. Und das, obwohl er – wie Hermann Burger – dasselbe Gymnasium besucht hat wie ich, wie Burger allerdings auch etwa ein Jahrzehnt vor mir. Wir müssen sogar, wenn ich dessen Erzählungen glauben darf – und warum sollte ich das nicht? – denselben Chemie-Lehrer gehabt haben.

Damit war es früher Nachmittag, und ich beschloss, dem Trubel der Messe zu entfliehen und doch noch ins Zentrum von Leipzig zu fahren. Die Antiquariate um den Markt waren rasch abgeklappert. Es überkam mich die Lust, in einem Café an der Sonne zu sitzen und eine Zigarre zu rauchen. Nur hatte ich leider keine dabei. Ich stöberte also ein Geschäft auf, das auch Zigarren verkaufte. Dort erstand ich mir ‹Stumpen› der Firma Villiger – jener Firma also, mit deren Inhabern Burger verwandt war. Es sollte dann vollständig ein Schweizer Nachmittag werden, weil ich bei der Suche nach einem zum Genuss einer Zigarre geeigneten Café über ein ‹Schweizer Restaurant› stolperte. Die junge Dame, die bediente, wusste sogar – obwohl vom Akzent her zweifelsfrei Sächsin – was eine ‹Stange› ist (nämlich 3 dl Lagerbier). Ich ‹nachtmahlte› dann auch da, wie der Österreicher sagen würde, und ass eine Portion «Züri-Geschnetzeltes» in der Leipziger Interpretation. Die Rösti haben sie in Leipzig jedenfalls gut hingekriegt. Und nicht nur die eine junge Dame, das ganze Personal war wirklich freundlich und aufmerksam. Was ich vom Personal jener andern Gaststätte, die ich zuerst tentativ ins Auge gefasst hatte, nicht sagen kann: Unaufmerksam, langsam und gehetzt. (Was vielleicht am Namen des Restaurants liegt, der eher einen medizinischen Nachgeschmack hinterlässt.) Aber sie preisen Austern an…

Tits und Bits, Bits und Bytes

Diesmal wirklich Bits und Bytes. Als ich nämlich am Markt ankam, war dort gerade eine Demonstration im Gange gegen die Änderung des Urheberrechtsgesetzes, bzw. die Einführung von Upload-Filtern. Ein mir sehr sympathisches Anliegen, aber ich habe dann trotzdem nicht mit-demonstriert.

Und dann war da noch jener Cos-Player – ja, auch die gibt es immer noch, und heute Samstag waren es sogar sehr, sehr viele – jener Cos-Player also, der als Superman verkleidet vor dem Eingang der Messe herumspazierte. Mit einem kleinen Baby auf dem Arm. Superman als Familienvater: Das erschliesst völlig neue Dimensionen eines Superheldentums, wie ich finde.

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