Charles Bukowski: Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang

Ausgaben wie diese haben unser Bild von Charles Bukowski unwiderruflich geprägt. Damit meine ich nicht nur die Gedichte, die sie enthält, als vielmehr die Beilagen: An Stelle eines Vorworts ein Bericht Dirty Old Man in Los Angeles des Übersetzers Carl Weissner von seinem ersten Besuch und Gespräche bei Bukowski irgendwo in Down-Town-Los-Angeles, sowie ein paar Briefe, die Bukowski im Anschluss daran an Weissner geschrieben hat, die geplanten Übersetzungen betreffend. (Letzere als Faksimile und in Übersetzung.) Die Beschreibung, die Weissner von Bukowski und seiner Wohnung liefert, erinnert ein wenig an den romantischen armen Poeten im Dachstock von Spitzweg, gemischt mit einer tüchtigen Prise des Poète maudit von Baudelaire & Co. Ich hatte eine Zeitlang beruflich mit Randständigen, mit Alkoholikern und Drogenabhängigen, zu tun und kenne ihre Behausungen. Wenn Weissner schreibt: Es roch nach Zigarettenkippen, ranzigen Socken und Bierflecken auf dem Teppich, so unterschlägt er entweder einiges oder Bukowski war für einen Alkoholiker ein äusserst gepflegter Typ. Die ranzigen Socken sind in Tat und Wahrheit eine Mischung aus dem Schweissgeruch von seit Monaten nicht mehr gewaschenen Körpern, kaltem Zigarettenrauch, alkoholischen Ausdünstungen, Erbrochenem, Urin und Fäkalien. Jedem normal veranlagten Menschen wird unwillkürlich selber übel in dieser Atmosphäre.

Aber Bukowski, der Alkoholiker, der Schläger, der Knasti, der, der jede Frau bumst, die auch nur hinhält: Dieser Bukowski ist seit jenem Bericht definitiv in unserm Hirn verankert. Ein Bukowski, der auch in privaten Briefen Slang benutzt, den Gassenlingo des ‚einfachen Manns von der Strasse‘, zusammengesetzt aus Obszönitäten und Fäkalsprache. Weissners Stilisierung, Bukowskis Selbststilisierung oder ganz einfach Realität? Ich kann es nicht entscheiden.

Das Paradox an Bukowski ist, dass er zwar übelste Gassensprache verwendet, daraus und damit aber dennoch Lyrik vom Feinsten erstellt. (Es gibt in der vorliegenden Auswahl sogar ein Gedicht, in dem sich Bukowski lustig macht über jene, die glauben, mit ein paar obszönen Gassenausdrücken auch Gedichte herstellen zu können, wie er es hinkriegt. Das Gedicht zeigt den Qualitätsunterschied ironisch und schlagend auf.) Bukowskis Themen ist die US-amerikanische weisse Unterschicht, deren Leben, Lieben und Sterben. Er spricht die Sprache dieser Unterschicht und formt damit in freien Versen fragile poetische Aperçus.

Als Einführung in Bukowski mit ein paar seiner besten Gedichte bestens geeignet.


Charles Bukowski: Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang. Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Carl Weissner. Augsburg: MaroVerlag, 152018

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