Ganz so schlimm ist es hier nicht, aber ich hätte auf diese Art der Darstellung trotzdem verzichten können. Inhaltlich hingegen ist das Buch gelungen und es kann als Einführung in philosophische Fragestellungen durchaus empfohlen werden. So ist Schmidt-Salomon einer der wenigen, der die ungeheure Wichtigkeit der Evolutionstheorie für Philosophie erkannt hat und er verweist nicht von ungefähr immer wieder auf unser tierisches Erbe – ob es sich um Fragen der Moral, der Gerechtigkeit oder auch der Epistemologie handelt. Und wenn Theodosius Dobzhansky häufig mit dem Satz „Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution“ zitiert wird, so könnte man diesen Ausspruch – mutatis mutandis – auch für die Philosophie übernehmen. Unser Verhalten, unser Zusammenleben, unsere Erkenntnisse – alles das muss unter dem evolutionären Aspekt betrachtet werden. Und wenn auch – wie der Autor betont – aus der Wissenschaft keine Regeln für das menschliche Leben abgeleitet werden können (um den zu Recht verpönten naturalistischen Fehlschluss zu vermeiden), so wäre eine Philosophie ohne wissenschaftliche Erkenntnisse blind und von der Realität abgekoppelt.
Dass es hier nicht ohne entsprechende Kirchenschelte abgeht, liegt in der Natur der Sache (bzw. des Autors). Dabei kommt aber die Kritik anderer philosophischer Positionen ein wenig zu kurz, kein Wort über Rationalismus, Idealismus, Existenzialismus. Hingegen wird die Philosophie hauptsächlich unter dem Aspekt des „wie soll ich leben?“ abgehandelt – und das Ganze gerät dabei in Gefahr, ein wenig in Richtung Lebensratgeber abzugleiten (obwohl: Das ist eine sehr harsche Kritik und in dieser Form nicht berechtigt). Inhaltlich problematisch sind eigentlich nur die Ausführungen zur Willensfreiheit: Schmidt-Salomon geht von einer absoluten Determiniertheit des menschlichen Denkens aus (in dem Sinne: Weil etwas genau so geschehen ist, musste es auch so geschehen), eine Position, die weitgehend unangreifbar erscheint. Das Problem dieser Position besteht nicht in ihrer mangelnden Stringenz, sondern in ihren Konsequenzen: Wenn denn alles so geschehen musste (jemand auf bestimmte Weise handeln, denken, leben musste), dann kann ich nicht mehr sinnvollerweise Wörter wie „wählen“, „entscheiden“ etc. verwenden, man kann nicht mehr davon sprechen, „die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen“ oder über Weltentwürfe räsonieren, die wir – weil wir uns auf diese oder jene Weise entscheiden – dadurch verwirklichen können. Im Sinne eines naturalistischen Determinismus, wie ihn der Autor in Bezug auf die Willensfreiheit verficht, ist die Welt höchstens offen in quantenphysikalischer Unschärfe, nicht aber im Sinne einer Wahlmöglichkeit.*
Eine andere, unangenehme Vereinfachung ist Schmidt-Salomons Trennung von „Gefühl“ und „Verstand“ (obwohl er in einem späteren Kapitel das relativiert): Denn diese Dichotomie ist künstlich und seine Beispiele (in Zusammenhang mit der Frage, ob man immer auf die Vernunft hören solle) ziemlich trivial (nein, man soll auch mal „spontan“ sein und und und … Das wird dann wirklich zur Ratgeberliteratur). – Trotz allem halte ich das Buch für empfehlenswert: Weil unser Denken, unser Leben, unsere Philosophie unter evolutionärem Gesichtspunkt betrachtet wird. Gerade in der Philosophie ist die Neigung zum Obskurantismus immer noch groß, immer noch werden – explizit oder implizit – so etwas wie Geist, platonische Ideen (oder gar theologisch verbrämte Konzepte) hochgehalten, immer noch scheint nur der ein echter Philosoph zu sein, der metaphysischen Träumereien nachhängt. Insofern ist dieser naturalistische Ansatz eine seltene und wohltuende Alternative.
*) Allerdings wirft diese Form des Determinismus kein juristisches Problem auf (wie auch im Buch kurz erwähnt): Ob jemand für seine Tat verantwortlich ist oder nicht. ist belanglos hinsichtlich einer Verurteilung des Täters (weil er keine „Schuld“ an seinem Tun hätte, er ja nur ein Werkzeug der Naturgesetze wäre). Die (mangelnde) Einsicht in die Schuld ist nicht proportional auf das Strafmaß zu verrechnen – im Gegenteil: Ein Täter, bei dem man aufgrund seiner geistigen Verfasstheit gar keine Einsicht vermutet, wird in der Regel sogar strenger verurteilt, kommt in „Sicherungsverwahrung“, eben weil man nicht an seine Vernunft appellieren kann. Nur einen verständigen, „zurechnungsfähigen“ Täter kann man (vielleicht) davon überzeugen, dass sein Tun ihm und allen anderen schadet und dass er in seinem eigenen Sinne von einem solchen Leben absieht.
Michael Schmidt-Salomon & Lea Salomon: Leibniz war kein Butterkeks. München, Zürich: Pendo 2011.