Das größte Wunder dieses Lebens war die Tatsache des (langen) Lebens selbst: Menschen, die an ALS (amyotrophe Lateralsklerose) erkrankt sind, überleben ihre Diagnose zumeist nur um wenige Jahre (die Krankheit wird auch als Lou-Gehrig-Syndrom bezeichnet nach dem Baseballspieler Lou Gehrig, der nur zwei Jahre nach der Diagnose verstarb). So gesehen hat Hawkings seine Lebensspanne um das 25fache übertroffen und hat mit 76 Jahren ein für diese Krankheit enormes Alter erreicht (diagnostiziert wurde sie bei ihm im Alter von 21 Jahren). Über seine wissenschaftliche Bedeutung ist man abseits vom Mainstream geteilter Meinung (so wird im Buch erwähnt, dass keiner seiner Physikerkollegen ihn zu den 10 bedeutendsten (lebenden) Physikern zählen würde). Dies zu beurteilen steht mir nicht zu, allerdings hatte ich nach Lektüre seiner Bücher den Eindruck, dass deren Popularität eher auf die Figur Hawkings als auf die Tatsache, komplizierte Sachverhalte verständlich erörtern zu können, zurückzuführen sind. (Mir fallen zahlreiche Werke ein, die ich diesbezüglich als besser geschrieben einstufen würde.)
Dabei hat ihn gerade seine „Kurze Geschichte der Zeit“ erst ein finanziell abgesichertes Leben ermöglicht (das Werk war fast drei Jahre Nummer eins auf der Bestsellerliste Sachbücher). Nach einem Luftröhrenschnitt war ihm die Fähigkeit des Sprechens genommen, er wurde ab den 80ern zusehends von einer 24-Stunden-Pflege abhängig und unter all diesen Problemen litt die Beziehung zu seiner Frau, die sich 1995 von ihm scheiden ließ (Hawking heiratet nochmals (eine seiner Pflegerinnen), doch diese Ehe war von kleineren Skandalen begleitet und wurde nach 10 Jahren ebenfalls geschieden). In der gesamten Zeit setzte er seine Arbeit an kosmologischen Problemen fort (als seine größte Leistung gilt die Bekenstein-Hawking-Entropie-Gleichung), wobei häufig die Meinung vertreten wurde (und wird), dass seine Krankheit ihm zu einer besonderen Art des Denkens verholfen hätte, etwas, das ich bestenfalls in Ansätzen unterschreiben würde. Hier ist wohl vielmehr die idealisierte Vorstellung des in sein Denken versunkenen Forschers am Werk: Ich vermute, dass ein gesunder Hawking der Physik dienlicher gewesen wäre.
Sein Vermächtnis dürfte in der Popularisierung der Kosmologie bestehen (auch wenn ich – wie erwähnt – seinen Büchern nicht wirklich viel abgewinnen kann), sein Einsatz für wissenschaftliche Bildung, einer allgemein zugängigen Gesundheitsversorgung waren sicherlich für englische Verhältnisse bedeutend. Seine theologischen Auseinandersetzungen hatten hingegen häufig einen etwas fragwürdigen Anstrich (so sprach er in seinem Bestseller davon, dass eine ToE der Menschheit ermöglichen würde, „Gottes Plan zu erkennen“; das mag in verkaufstechnischer Hinsicht ein kluger Schachzug gewesen sein, ist im Grunde aber nur peinlicher Unsinn (er wusste mich Sicherheit, welche Diskussionen ein solcher Satz nach sich ziehen würde)), ebenso die diversen Weltuntergangsszenarien, die er medienwirksam verkündete (ob durch Meteoriteneinschläge oder Künstliche Intelligenz verursacht).
Von all dem gibt es in diesem Buch einen kurzen Abriss, tiefer gehende Erörterungen sucht man vergebens. (Wenigstens wurde der Versuchung einer rein hagiographischen Darstellung nicht nachgegeben.) Dazu kommt ein umfangreiches Bildmaterial, das zu einem Gutteil fragwürdig erscheint: Denn ein Viertel dieser Abbildungen bestehen in „künsterischen Darstellungen“ diverser kosmologischer Ideen, manchmal schön anzuschauen, im Grunde aber nicht aussagekräftiger als diverse Windows-Bildschirmschoner). Lektüre für zwischendurch ohne allen Anspruch oder Tiefgang.
Joel Levy: Stephen Hawking. Sein Leben. Seine Forschung. Sein Vermächtnis. Stuttgart: Langenmüller 2019.