Cassius Dio: Römische Geschichte. Band III: Bücher 44-50

2 (1) Demokratie hat ja zwar einen schönklingenden Namen und erweckt den Eindruck, als bringe sie allen durch gleiche Gesetze auch gleiche Rechte, in ihren Ergebnissen aber zeigt sich, daß sie mit ihrem Namen nichts zu tun hat. Im Gegensatz dazu hat Alleinherrschaft einen bösen Klang, sie ist aber eine sehr geeignete Staatsform, um darunter zu leben. (2) Denn es ist leichter, einen einzigen tüchtigen Mann als deren viele zu finden, und wenn selbst dies einigen als schwieriges Unternehmen erscheint, so muß doch unbedingt die andere Möglichkeit einmütig für ausgeschlossen betrachtet werden; ist es ja der Mehrzahl von Menschen nicht gegeben, Tugend zu erwerben. Und sogar wenn ein minderwertiger Mensch Selbstherrscher werden sollte, ist er nichtsdestoweniger der Masse gleichgestellter Menschen vorzuziehen, wie dies die Geschichte der Griechen und Barbaren und selbst der Römer erweist. (3) Denn Erfolge werden jederzeit den Städten wie den Einzelmenschen von Seiten der Könige in viel größerem Umfang und reicherer Zahl als unter der Volksherrschaft zuteil, und Unglücksfälle ereignen sich {nicht so häufig} bei Monarchien, als wenn die Masse regiert. In der Tat, sofern je überhaupt eine Demokratie eine Blütezeit erlebte, währte diese nur kurz, lediglich so lange als die Menge weder über die hinreichende Zahl noch Macht verfügte, so daß kein Frevelsinn als Folge von Wohlergehen und keine Eifersucht als Ergebnis des Ehrgeizes unter den Menschen entstehen konnten.

Praktisch gleich zu Beginn von Buch 44 liefert uns Cassius Dio mit diesen Worten sein politisches Credo. Buch 44 ist das Buch, in der von der Ermordung des Julius Cäsar berichtet wird, und natürlich beziehen sich Dios Worte zunächst einmal auf dieses Ereignis, sollen aber ebenso natürlich Bedeutung weit über diesen Anlass hinaus haben. Mit Cäsar wird in der Römischen Republik innert kürzester Zeit zum zweiten Mal nach Sulla (auf den sich Cassius Dio denn auch des öfteren noch zurück bezieht) ein Mann versuchen, das Staatswesen aus oder vor den Wirren eines Bürgerkriegs zu retten. Zum zweiten Mal wird einer die einzige Rettung darin sehen, selber alle Macht auf sich zu konzentrieren; zum zweiten Mal wird einer genau deswegen scheitern; zum zweiten Mal werden seine Nachfolger ein Triumvirat bilden; zum zweiten Mal werden die Triumvirn untereinander uneinig und genau den Bürgerkrieg entfesseln, vor dem der Alleinherrscher das Reich zu bewahren suchte. Wäre Cassius Dio nicht so voreingenommen gewesen, auch wohl noch geblendet von ’seinem‘ jungen Kaiser Severus Alexander, so hätte er sehen müssen, dass die Alleinherrschaften eines Sulla, eines Julius Cäsar und all seiner Nachfolger genau so kurzfristige Friedenszeiten erzielten, wie die von ihm so geschmähten Demokratien. Bei der Abfassung von Buch 44 glaubte unser Geschichtsschreiber aber offenbar immer noch daran, dass unter Severus Alexander ein neues Goldenes Zeitalter in Rom anbrechen würde, was seine Urteilskraft ein wenig blendete.

(Nur noch einmal wird Cassius Dio in den in Band III meiner Ausgabe versammelten Büchern ähnlich persönlich wie zu Beginn von Buch 44 – dort nämlich, wo er über den Charakter von Land und Leuten in Pannonien berichtet. Mit dem Zusatz, dass seine Schilderung der Wahrheit entspreche, da er selber einige Jahre nach Lepidus dort als Statthalter gedient habe und so quasi Augenzeuge dessen sei, was er da sage.)

Im Übrigen fällt auf, dass die Bücher 44 bis 50 immer wieder Reden enthalten, die entweder Heeresführer vor ihren Armeen gehalten haben oder Politiker auf dem Forum in Rom. Zwei Reden fallen besonders ins Auge: Da ist die von Marc Anton, gehalten nach der Ermordung Cäsars. Wohl jedem literarisch einigermaßen Gebildeten werden da sofort Reminiszenzen wach an die rhetorisch-stilistische Brillanz der Rede, die William Shakespeare ’seinen‘ Marc Anton im Drama Julius Caesar halten lässt. Was Cassius Dio überliefert (und was wohl genau so wenig der real gehaltenen Rede Marc Antons entspricht, wie Shakespeares Text – sofern Marc Anton überhaupt eine Rede gehalten hat), was Cassius Dio also überliefert, steht in keinem Verhältnis zu Shakespeare: trocken, langfädig, äußerst vorhersehbar ist sein Marc Anton. Eine später gehaltene Rede von Cicero klingt bei Cassius Dio auch nicht viel besser. Unser Verfasser scheint Cicero sowieso nicht ganz grün gewesen zu sein; er lässt Ciceros Rede eine Entgegnung eines heute weiter nicht mehr bekannten Senators folgen, der Cicero persönlich auf eine Art und Weise verunglimpft, wie wir das heute eigentlich nur aus den US-amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkämpfen kennen. Cassius Dio lässt die Schmähungen im Raum stehen und gibt ihnen damit implizit Recht. (Er mochte Cicero wohl wirklich nicht: Selbst sein Tod wird nur beinahe beiläufig geschildert, zusammen mit dem Tod so manch anderen Senators.)

Ansonsten schildern die Bücher 44 bis 50 nach der Ermordung Cäsars das darauf folgende Triumvirat mit Octavius (den Cassius Dio beharrlich Caesar nennt, weil er als dessen Grossneffe von Gaius Iulius Caesar adoptiert worden war, was heutige Leser aber verwirrt), Marc Anton und Lepidus, die Ausschaltung (z.T. Ermordung) der Mörder Cäsars, den erneut einsetzenden Bürgerkrieg zwischen den Triumvirn, sowie schliesslich die Kaltstellung des Lepidus. Buch 50 endet mit der Schlacht bei Actium, in der Caesar Marc Anton und Kleopatra besiegte und damit de facto das definitive Ende der Römischen Republik einläutete, da er nun seinerseits das Erbe Sullas und Cäsars als Alleinherrscher übernehmen konnte.


Cassius Dio: Römische Geschichte. Übersetzt von Otto Veh. Düsseldorf: Artemis & Winkler, 2009

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