Frankfurt orientiert sich zu Beginn an Max Blacks Untersuchung „The Prevalence of Humbug“, indem er „Humbug“ und „Bullshit“ voneinander abzugrenzen sucht. Das ist ein wenig ertragreiches Unterfangen, weil Definitionen per se subjektiv zu sein pflegen und Bedeutungszuschreibungen häufig im Auge des Betrachters liegen. So auch hier: „HUMBUG: insbesondere durch hochtrabendes Gehabe in Wort und Tat irreführende, an Lüge grenzende Darstellung eigener Gedanken, Gefühle oder Einstellungen.“ Der Autor sagt zu Recht, dass damit auch Bullshit ganz gut charakterisiert wäre, unterzieht aber dann diese Definition einer genaueren Analyse, wobei er dabei aber sehr schnell auf weitere Unklarheiten stoßt (hier auf den Begriff der „Lüge“, der ihm – zu Recht – keineswegs ganz klar zu sein scheint). Denn mit Lüge ist keineswegs nur die Unwahrheit einer Aussage gemeint, sehr viel wichtiger dürfte die dahinterstehende Täuschungsabsicht sein (wobei sich natürlich die Frage stellt, ob diese Täuschungsabsicht nicht das eigentlich Konstituierende einer Lüge ist). Wer etwa aus bloßer Unkenntnis einen Sachverhalt falsch darstellt, ist kein Lügner; andererseits wäre es auch unter bestimmten Umständen vorstellbar, jemanden durch das Aussprechen der Wahrheit zu täuschen (wenn man z. B. weiß, dass der Hörer damit rechnet, etwas Falsches zu hören).
Dann trägt er eine kurze Wittgenstein-Anekdote (die aber nicht wirklich viel Erhellendes zum Problem beiträgt) vor, zitiert den unvermeidlichen Augustinus (der im Zusammenhang mit Wahrheit und Lüge zwar stets gelehrte Erwähnung findet, dessen „lustvoll lügender Mensch“ aber bloß eine obskure Konstruktion ist), um schließlich wieder zum Definitionsproblem zurückzukehren. Und findet dann doch noch kluge Sätze, die ich unterschreiben würde: Dass nämlich derjenige, der Bullshit redet, im Gegensatz zum Lügner die Wahrheit völlig ignoriert (während jemand, der bewusst Falsches verbreitet, eine sehr genaue Vorstellung von der Wahrheit haben und sich dieser stets erinnern muss, um die beabsichtigte Täuschung aufrecht zu erhalten), sie einfach nicht beachtet. Wer die Tatsachen zu verschleiern versucht, muss diese kennen, anerkennen – und er muss um die richtige bzw. falsche Sicht der Dinge wissen. Während derjenige, der „sich dem Bullshitten hingibt, nur noch danach fragt, ob Behauptungen ihm in den Kram passen oder nicht“. Er will nicht über Tatsachen täuschen, sondern über sein Vorhaben. „Das einzige unverzichtbare und unverwechselbare Merkmal des Bullshitters ist, daß er in einer bestimmten Weise falsch darstellt, worauf er aus ist.“
Für die derzeit starke Verbreitung von Bullshit macht Frankfurt dann „diverse Formen des Skeptizismus“ ausfindig. Was er unter „diversen Formen“ versteht, bleibt dabei unklar, skeptische Positionen dafür verantwortlich zu machen scheint eher unsinnig: Gerade die gesunde (rationale, auf Logik beruhende) Skepsis wäre ein Mittel gegen Bullshit. Allerdings scheinen seine Ausführungen eher in Richtung Relativismus zu zielen („ein Skeptizismus, der uns die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität abspricht und behauptet, wir könnten letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind“) und insofern kann man ihm durchaus zustimmen. Auch wenn die Formulierung „wie die Dinge wirklich sind“ unglücklich gewählt ist: Das – fürchte ich – werden wir kaum je erkennen (und noch weniger wissen) können, allerdings stehen uns fast immer Mittel zur Verfügung, zwischen Bullshit und den Fakten zu unterscheiden. Tatsächlich gibt es einen Vertrauensverlust in die wissenschaftliche Forschung und „eine Reaktion auf diesen Vertrauensverlust besteht in der Abkehr von jener Form der Disziplin, die für die Verfolgung eines Ideals der Richtigkeit erforderlich ist, und der Hinwendung zu einer Disziplin, wie sie die Verfolgung eines alternativen Ideals erfordert, nämlich des Ideals der Aufrichtigkeit.“ (Hervorhebungen im Original) Und Frankfurt fährt überaus treffend fort: „Statt sich in erster Linie um eine richtige Darstellung der gemeinsamen Welt zu bemühen, wendet der einzelne sich dem Versuch zu, eine aufrichtige Darstellung seiner selbst zu geben. In der Überzeugung, die Realität besitze keine innerste Natur, die als wahre Natur der Dinge zu erkennen er hoffen dürfe, bemüht er sich um Wahrhaftigkeit im Hinblick auf seine eigene Natur.“
Das scheint mir sehr gut widerzuspiegeln, wodurch sich die politischen Diskussionen der letzten Jahre zunehmend auszeichnen. Und Frankfurt beschreibt auch die Ursachen dieses Geredes: „Bullshit ist immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. Die Produktion von Bullshit wird also dann angeregt, wenn ein Mensch in die Lage gerät oder gar verpflichtet ist, über ein Thema zu sprechen, das seinen Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt. Diese Diskrepanz findet sich häufig im öffentlichen Leben, in dem Menschen sich – aus eigenem Antrieb oder auf Anforderung anderer – oft gedrängt sehen, sich eingehend über Gegenstände auszulassen, von denen sie wenig Ahnung haben.“ Und dann allgemeiner: „In dieselbe Richtung wirkt die weitverbreitete Überzeugung, in einer Demokratie sei der Bürger verpflichtet, Meinungen zu allen erdenklichen Themen zu entwickeln oder zumindest zu all jenen Fragen, die für die öffentlichen Angelegenheiten von Bedeutung sind. Das Fehlen jedes signifikanten Zusammenhanges zwischen den Meinungen eines Menschen und seiner Kenntnis der Realität wird natürlich noch gravierender bei einem Menschen, der es für seine Pflicht als moralisch denkendes Wesen hält, Ereignisse und Zustände in allen Teilen der Welt zu beurteilen.“ Weshalb mir ein Zuviel an direkter Demokratie immer Bauchschmerzen bereitet: Denn diese setzt einen mündigen, informierten und nach Objektivität strebenden Bürger voraus. Ein Exemplar, das höchst selten ist und von dem die meisten noch nicht einmal sagen könnten, weshalb ein solches Ideal erstrebenswert erscheinen würde. Wahrscheinlich ist dies sogar eines der Hauptprobleme unserer Demokratie: Dass die Menschen zunehmend über Dinge Entscheidungen treffen müssen, die ihren „Wissensstand hinsichtlich der für das Thema relevanten Tatsachen übersteigt“. Allerdings sehe ich nicht, wie man diesen Schwierigkeiten steuern könnte – außer mit einem sonntagspredigthaften Appell an alle, sich kritisch, rational und skeptisch zu zeigen gegenüber einer Welt – voller Bullshit.
Harry G. Frankfurt: Bullshit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006.