Aber in der Regel beeindruckend, weil es ganz stille, unaufgeregte Geschichten sind, oft nur Beschreibungen, die – zu ihrem Glück – ganz jedweder Moral ermangeln. Schirach schildert Begegnungen, zufällige und geplante, Unterhaltungen im Zug und auf Veranstaltungen, er schildert sie in ihrer Skurrilität, als ein Außenstehender und gerade dadurch rühren sie den Leser an. Kein Bemühen um Sinn, versteckte Botschaften, nur nackte Wirklichkeit, manchmal fast schmerzhaft nüchtern.
Vieles rankt sich um von Schirachs Tätigkeit als Strafverteidiger, um Prozesse und deren Beteiligte, Richter, Angeklagte, um die Fragwürdigkeit jeder Rechtsprechung, um deren philosophische Implikationen, um Schuld und Nichtschuld, um die Bedeutung des Rechtsstaates. Dabei wirkt der Autor nirgends belehrend, lässt die letzten Fragen offen, ungeklärt, weil es sich nicht um Aussagen über die Welt handelt, sondern um Allzumenschliches, das sich dem Urteil von Richtig und Falsch, von Verächtlich oder Bewundernswert entzieht. Und hinter all dem steht die Vergänglichkeit, der Tod, Menschen ziehen Bilanz und stehen vor einem Leben, das eigentümlich schnell verging und keine Zeit ließ, irgendwas vom irgendwann Erträumten zu verwirklichen; alle großen und kleinen Karrieren, Verbrechen werden klein und armselig vor dem großen Gleichmacher. Dazu gehören auch eigene Erinnerungen, die wie aus einem anderen, früheren Leben stammen (tun sie das nicht wirklich?), man ist erstaunt, das man das selbst gedacht, geschrieben hat, dass man so gewesen sein soll und es legt sich bedrückende Traurigkeit über das so Erinnerte ohne Rücksicht auf das womöglich Schöne, Hässliche dieser Vergangenheit – einfach deshalb, weil es vorbei, lange vorbei ist.
Das beim Leser auf- und hervorzurufen ist Kunst, mit einfachen, bescheidenen Mitteln, ohne Effekthascherei, einzig durch ein nüchtern wirkendes, aber dadurch umso imponierenderes Be-Schreiben. Ein Lesegenuss par excellence.
Ferdinand von Schirach: Kaffee und Zigaretten. München: Luchterhand 2019.