John Gaskin: The Traveller’s Guide to Classical Philosophy

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist dieser „Reiseführer zur antiken Philosophie“ entstanden aus einer Art Vorlesungen, die John Gaskin regelmäßig auf Kreuzschiffen in der Ägäis hielt oder noch hält. Der Titel ist allerdings ein wenig irreführend. Erst ganz am Schluss finden wir zwei Karten – eine Gesamtübersicht des Mittelmeerraums und eine Detailansicht der griechischen Halbinsel und des gegenüber liegenden Kleinasien –, die einem an den Stätten der Wirkung von Philosophen der Antike Interessierten als Reiseführer dienen können. Unmittelbar vor den Karten eine Auflistung der philosophiegeschichtlich interessanten Orte – der Orte also, an denen Philosophen geboren wurden und / oder an denen sie gelehrt haben – und deren Zustand im 21. Jahrhundert. Das ist in etwa der ‚Reiseführer-Teil‘. Im Übrigen haben wir eine klassische Philosophiegeschichte vor uns – eine Philosophiegeschichte der Klassik.

Gaskin ist sehr wohl qualifiziert für ein solches Unternehmen. Er ist emeritierter Fellow und Professor der Philosophie des Trinity College, Dublin. Viel gibt das Internet über ihn ansonsten nicht her, nicht einmal sein Geburtsjahr. Sein immenses philosophisches Wissen scheint denn auch in diesem Text immer wieder durch, auch wenn ganz klar ist, dass er zwar für interessierte und gebildete Menschen geschrieben wurde, aber doch für philosophische Laien. Gaskin schafft es sehr gut, die Balance zwischen einführender Wissensvermittlung und philosophiegeschichtlicher Korrektheit zu halten. Er schafft dies, indem er auch schon mal ganze Themenkreise weglässt. So z.B. unterschlägt er alle Arbeiten zur Logik, die die Antike geleistet hatte, gibt dies aber auch offen zu.

Dafür bettet er die antike Philosophie, vor allem die griechische Philosophie, ein in einen größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang, indem er diese Philosophie mit Homer einsetzen lässt, mit der Ilias vor allem, aber auch der Odyssee. Denn es war Homer, der nach Gaskin einen Grundton griechischen Denkens anschlug: Sterben, der Tod, ist nichts Schönes und dem Menschen an sich überflüssig, wenn auch unausweichlich. Die griechische Philosophie nach Homer war immer eine diesseitige; selbst die antiken Götter waren diesseitige. Die Götter lebten zwar ewig, aber ansonsten nicht anders als die Menschen. Mit der Schöpfung der Welt hatten weder die griechischen Götter noch die griechischen Menschen etwas zu tun. Die Wichtigkeit, die Gaskin Homer zuordnet, ist auch der Grund, warum diese Philosophiegeschichte mit einem Exkurs zu Homer und zu Troja anhebt, dessen Lage und dessen Ausgrabung (mit gewaltigem Seitenhieb auf Schliemann!) und zur wahrscheinlichen Realität des Trojanischen Kriegs.

Aus Homers Kosmos leitet sich für Gaskin das starke Interesse der antiken Philosophen an der Erforschung der Natur einerseits, der Analyse des menschlichen Zusammenlebens andererseits her. Wohl bereitete Platon mit seiner Ideenlehre den Grund für das Zweiweltensystem, das vom Neuplatonismus, dann der Gnosis, dem Christentum (Paulus, später Augustin) und dem Islam (schon Mohammed), dankbar übernommen und ausgebaut wurde. Aber schon Platons Meisterschüler Aristoteles hatte den Gedanken einer Welt ewiger Ideen bereits wieder verworfen und auf eine praktische Erforschung der Natur gesetzt.

Obwohl auch erwähnt, scheint die komplexe Ausgestaltung des griechischen Sexuallebens weniger Einfluss auf die griechische Philosophie genommen zu haben. Allenfalls – deutet Gaskin an – könnte das typische Verhältnis von Meister zu Schüler, der seinerseits zum neuen Meister mit neuen Schülern wurde, darin eine seiner Wurzeln haben.

Im Übrigen haben wir eine den üblichen Entwicklungslinien folgende, beim Hellenismus und den Vorsokratikern einsetzende Geschichte der antiken Philosophie vor uns, die uns von den eleatischen Anfängen zu den Sophisten führt, zu Sokrates, Platon, Aristoteles, Epikur, der Stoa und über den Neuplatonismus zum Ende der antiken Philosophie im Römischen Kaiserreich, wo zwar zunächst noch Personen wie Cicero oder Seneca das griechische Denken aufrecht zu erhalten suchten, wo aber mit der Machtübernahme des Christentums, für das Leiden und Sterben etwas Erstrebenswertes war, ganz im Gegensatz zum antiken Denken und damit der antiken Philosophie, diese einmalige, fast tausend Jahre umfassende Geschichte ihr Ende findet. (Sofern man nicht, wie Gaskin andeutet, im heutigen seltsamen Verhältnis zwischen ‚privatem‘ Glauben an Gott einerseits, wissenschaftlicher und damit rein diesseitiger Tätigkeit andereseits, schlecht verdaute Reste antiker Philosophie finden will!) Gaskin verfolgt in diesem Büchlein nicht nur Personen (das auch!), sondern vor allem wissenschaftsgeschichtliche Themen wie den Atomismus, das aus der wissenschaftlichen Beschäftigung entstehende Interesse am Erkennen als solchem, das zum eigenständigen philosophischen Zweig der Epistemologie wurde, bis hin zu den letzten Platonikern Blake und Bergson. Im Übrigen möge der Leser, möge die Leserin, die behandelten Themen und Personen dem Schlagwort-Verzeichnis entnehmen.

Gaskin erzählt flott und flüssig, ohne je flapsig zu werden. Er verlangt nicht zu viel von seinem Publikum, aber ein bisschen mitdenken ist dann doch gefragt. Positiv zu erwähnen ist auch der Umstand, dass am Ende eines jeden Kapitels Literatur-Empfehlungen stehen – sowohl weiter führende Sekundärliteratur zur behandelten Epoche / Schule (so z.B. Gibbon zum Ende des Römischen Reichs, der ja tatsächlich auch heute noch lesenswert ist, und das nicht nur wegen seines eleganten Stils), wie auch Primärliteratur der besprochenen Philosophen / Texte (jeweils in einer leicht zu erhaltenden und doch korrekten Übersetzung wie Oxford Classics oder Loeb.) Ein kleines Manko: Als flapsig empfinde ich die 20 Karikaturen, die von Zeit zu Zeit ganzseitig (und damit unübersehbar!) in den Text eingestreut sind, und z.B. Platon zeigen, mit seiner Idee unterm Arm, wie er von Aristoteles geneckt wird. Das wäre selbst in einer Philosophiegeschichte für Laien nicht nötig gewesen.

Fazit: Interessant und flüssig zu lesen. Obwohl für Laien gedacht, verzichtet Gaskin nicht darauf, eigene Gesichtspunkte einfließen zu lassen, eigene Schwerpunkte zu setzen.


John Gaskin: The Traveller’s Guide to Classical Philosophy. London: Thames & Hudson, 2019. [Meines Wissens existiert keine deutsche Übersetzung.]

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