Alexander A. Bogdanow: Der rote Planet

Hätte es zum Zeitpunkt, als Bogdanow diesen Roman schrieb, schon das Internet gegeben, hätten er bzw. seine Übersetzer es sich vielleicht zwei Mal überlegt, ausgerechnet Der rote Planet (oder, in anderen Übersetzungen Der rote Stern) als Titel zu wählen. Wer heute nämlich im Netz nach Informationen zu Bogdanows Roman sucht, stößt – je nachdem, ob nach Planet oder nach Stern gesucht wird – unvermeidlich entweder auf einen Fussballklub auf dem Balkan oder auf Hilfen für Kreuzworträtsel. Nur auf Informationen zum Roman stößt man nicht …

Womit schon vieles über dieses Stück Science Fiction aus dem Jahre 1908 gesagt ist. Nämlich, dass es so ziemlich (zusammen mit seinem Autor) aus dem Gedächtnis des Publikums verschwunden ist. Noch in der DDR muss Bogdanow einigermaßen bekannt gewesen sein. Das schwappte dann auch auf die BRD über, denn noch in den 1980ern gab es westdeutsche Ausgaben. Unterdessen aber finden wir auf der Landkarte keinen nennenswerteren Staat mit ‚real existierendem Sozialismus‘ mehr, und damit fehlt dem Roman die überlebensnotwendige Grundlage.

Denn der Sozialismus als höchste Form menschlichen Zusammenlebens spielt eine wichtige Rolle bei Bogdanow. Während auf der Erde die Revolution, die diese Form des Zusammenlebens hervorbringen soll, noch in vollem Gange ist, haben die Marsmenschen – von Natur aus bedeutend rationaler und das heißt hier auch, mit bedeutend weniger Blutvergießen – den Kapitalismus längst überwunden und leben auf ihrem Planeten in einem riesigen sozialistischen Staat. Bogdanows Mars ist gerade so bewohnbar, aber seine Ressourcen sind knapp und müssen mit sorgfältiger Planung bewirtschaftet werden. Dennoch weisen die Marsmenschen – auch, weil der Mars älter ist als die Erde und sich das Leben dort früher bis hin zu intelligenten Wesen entwickelt hat – weisen die Marsmenschen also technische Errungenschaften auf, die den Menschen der Erde noch fehlen. (Während – nebenbei – auf der Venus sich erst die Dinosaurier tummeln.)

Da ist zum Beispiel die interplanetare Raumfahrt – möglich gemacht durch die Entdeckung und anschließende Synthetisierung einer Anti-Materie mit negativer Gravitation. So kommen die Marsmenschen auf die Erde, um dort den bestmöglichen Vertreter der menschlichen Rasse auszuwählen und als Gast auf ihren Planeten mitzunehmen. Dies ist dann der Ich-Erzähler – eine führende Figur (?) in den revolutionären Umtrieben jener Zeit. (Die irdischen Teile des Roman handeln eindeutig in Russland zur Zeit der Entstehung des Romans.)

Die Beschreibung der Gesellschaft auf Mars, die der Ich-Erzähler liefert, entspricht der einer klassischen Utopie. Die Marsmenschen haben der Gewalt praktisch abgeschworen. Man arbeitet eher zum Vergnügen denn aus Notwendigkeit – und schon gar nicht aus ökonomischer Notwendigkeit, denn allen wird das Lebensnotwendige umsonst zur Verfügung gestellt, selbst wenn eine/r nicht arbeiten sollte. Der Arbeitstag ist übrigens nur umgerechnet sechs Erdstunden lang. Wer will, kann länger arbeiten; wer nicht mag, kann den Tag verkürzen und die Zeit mit Weiterbildung verbringen. Männer und Frauen füllen in dieser Gesellschaft die gleichen Rollen aus; die Kinder kommen schon sehr früh in Kinderheime, wo sie von SpezialistInnen erzogen werden. Für beide Geschlechter herrscht zwanglose Polygamie; es wird zwar von „Heirat“ gesprochen, aber die scheint nur aus einer gegenseitigen, mündlichen Abmachung von zwei Menschen zu bestehen. Da die kapitalistischen Zwänge und die daraus entstandene Rollenverteilung zwischen Mann und Frau abgeschafft wurden, haben sich offenbar im Lauf der Jahre sogar die äußeren körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern eingeebnet – auch wenn es natürlich immer noch Männer und Frauen gibt, ebenso wie Sex und das Kriegen von Kindern bei den Frauen geblieben ist.

So weit, so interessant. Leider mischt Bogdanow in die Beschreibung seines utopischen Marsstaates eine Liebesgeschichte zwischen dem Ich-Erzähler und seiner marsianischen Ärztin. Diese führt den Erdmenschen sogar dazu, einen ehemaligen Gatten seiner Netti zu erschlagen. Oder doch nicht? Plötzlich dreht Bogdanow die Geschichte, so dass die Erlebnisse auf dem Mars ebenso gut die Wahnvorstellungen eines Irren gewesen sein könnten. Nur, um dann ganz zum Schluss die Perspektive des Ich-Erzählers zu verlassen und von einem irdischen Arzt berichten zu lassen, wie der – unterdessen auf die Erde zurückgebrachte – Leonid von einer seltsam gekleideten Frau entführt wird, nachdem er in einer revolutionären Auseinandersetzung schwer verletzt wurde.

Alles in allem ist die von Bogdanow vorgeführte Utopie nicht uninteressant – jedenfalls nicht uninteressanter als was andere zu jener Zeit (der Roman erschien 1908) vorgestellt haben. Seine Sprache allerdings (und ich denke nicht, dass die Übersetzung daran schuld ist) ist simpel und vermag nicht zu interessieren, noch weniger als die von Laßwitz. Offen gesagt: Bogdanows Stil langweilt. Das ist wohl mit ein Grund, warum er heute nicht mehr gelesen wird.

PS. 1908 war die große Zeit der Marskanäle. Die gibt es folgerichtig auf Bogdanows Mars auch. Nur, dass seine Marsmenschen behaupten, was Schiapparelli gesehen habe, seien nicht die Kanäle selber gewesen – die seien zu schmal, um von der Erde aus gesehen werden zu können – sondern die den Kanälen entlang gepflanzten Wälder, die die Kanäle vor dem Austrocknen schützen. (Denn – das wäre beinahe ein zweites PS wert – der Glaube daran, dass die Natur dem Menschen untertan sein soll, ist bei Bogdanow noch ungebrochen, und deshalb auch fester Bestandteil der Ideologie der Marsmenschen.)

Fazit: Unumgängliche Lektüre, wenn man an der Geschichte der fiktionalisierten Staatsutopien interessiert ist. Ansonsten würde ich – in der gleichen ideologischen Ausrichtung, aber zumindest meistens literarisch gelungener – raten, zu den Utopien von H. G. Wells zu greifen.

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