Erika & Klaus Mann: Das Buch von der Riviera

Thomas Manns älteste Kinder haben nicht nur zusammen (mit Gustaf Gründgens) ein politisches Kabarett gegründet, sie haben auch sonst vieles zusammen (aber ohne Gründgens, teilweise dafür mit anderen Freunden, z.B. Annemarie Schwarzenbach) unternommen. Unter anderem reisten sie viel in der Welt herum und verfassten Berichte über diese ihre Reisen. Eine ihrer Lieblingsdestinationen war dabei die französische Côte d’Azur. Über diese – und den anschließenden italienischen Teil der europäischen Mittelmeerküste (also zusammen genommen die Riviera) berichten sie im vorliegenden kleinen Büchlein.

Es ist nicht der erste solche Reisebericht der beiden Geschwister, den ich gelesen habe. (Sofern er mir beim Umzug nicht verloren gegangen ist, müsste sich irgendwo im Chaos meiner Bücher noch ein Bericht über eine Schiffsreise befinden.) Stil und Inhalt sind immer etwa dieselben: Der Leser bzw. die Leserin werden direkt angesprochen, oder es wird die Wir-Form benutzt, um gleichsam zu suggerieren, dass man direkt mit dem Autorenpaar unterwegs ist. Der Bericht der beiden Manns kümmert sich wenig um ‘klassische’ historische oder künstlerische Sehenswürdigkeiten; Dinge, die „man gesehen haben muss“, interessieren sie offenbar kaum. Dafür werden Straßen beschrieben, Plätze und Aussichtspunkte. Immer wieder Informationen über den Weg von hier nach da, und welche über die Qualität und die Preise von Hotels und Restaurants – in Francs bzw. im italienischen Teil der Riviera in Lire, und umgerechnet in Mark. Obwohl eine Reiseroute eingehalten wird (von Marseille Richtung Osten über Monaco in den italienischen Teil der Riviera – den die beiden allerdings weniger mögen), handelt es sich fast mehr um einen Reiseführer denn um einen Reisebericht – eine Ergänzung zum Baedeker, sozusagen. Das Buch ist in einem recht sorglosen, ja flapsigen Ton gehalten und vermittelt den Eindruck, dass außer Essen und Trinken (vor allem der lokale Wein wird immer wieder erwähnt – es geht aber auch darum, wo und wann man am besten seinen Tee trinkt), Übernachten und Shopping für die beiden Manns allenfalls noch die Spielcasinos existieren. Es sind – und deshalb habe ich auch nur kurz gezögert, dieses Aperçu mit dem Namen ihres Vaters zu beginnen – die Reisen von Kindern bzw. Enkeln wohlhabender Deutscher, die sich in diesem Büchlein präsentieren.

Da sie wohlhabend sind und ihr Vater in schriftstellerisch-künstlerischen Kreisen doch recht bekannt (wir sind mit dem Text in den frühen 1930er Jahren), kommen sie auch mit den ‘richtigen Leuten’ in Kontakt. Sie wissen, wo sich Ernst Jünger, Stefan Zweig, Joseph Roth, H. C. Andersen, Aldous Huxley, Chateaubriand, Guy de Maupassant, Joseph Conrad, H. G. Wells, Somerset Maugham, Kurt Tucholsky, Gerhart Hauptmann, Franz Werfel, Ezra Pound, Lord Byron, Shelley, Richard Wagner, Gabriele D’Annunzio, George Sand usw. aufhalten oder aufgehalten haben und welches allenfalls deren Lieblingsbar ist oder war. Verdankenswerterweise verfügt die mir vorliegende Ausgabe über ein Personenregister, man kann sich also unabhängig vom Text auf die Suche nach diesen Berühmtheiten machen. Die beiden Manns reisten offenbar mit dem Auto (und schildern denn auch die Probleme, die man – damals schon! – hatte, wenn man sich z.B. im Zentrum von Marseille zum Hotel hindurch quälen musste), sind sich aber immerhin dessen bewusst, dass das nicht jede und jeder von ihrer Leserschaft kann und erwähnen deshalb auch immer, dass es auch bequeme Eisenbahn- und Busverbindungen entlang der Küste gibt.

Nur manchmal schimmert in der einen oder anderen Bemerkung ganz kurz durch, dass die beiden Manns mehr sind als verwöhnte Kinder reicher Eltern, sondern sich der damals schon seltsamen Stimmung in der Zeit des Aufstiegs von Faschismus und Nationalsozialismus bewusste Menschen. Sie blenden es aber in diesem Text explizit aus.

Was bleibt, ist eine atmosphärisch dichte Schilderung eines Lebens, wie es zumindest die Tourist Offices entlang der Riviera bis heute suggerieren. (Und teilweise stimmt es ja. Das Licht zum Beispiel ist in Südfrankreich wirklich besonders und man kann auch als Laie nachvollziehen, warum diese Gegend viele Maler angezogen hat, warum, wie Erika und Klaus meinen, van Gogh in dieser Gegend den Impressionismus sozusagen ‘erfunden’ hat. Und das Lebensgefühl ist anders in jener Gegend, auch wenn natürlich die Einheimischen mit den gleichen oder ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, wie wir dort, wo wir die Einheimischen sind und die Touristen unsere Berge und Seen bewundern.) Was bleibt, sind die Impressionen eines Lebens, wie es die Reichen und Schicken, die Dandys, jener Zeit geführt haben. Was bleibt, ist – wie es auch die Herausgeberin der Reihe, in der ich das ursprünglich bei Rowohlt erschienene Büchlein gelesen habe (Büchergilde unterwegs), Julia Finkernagel, in ihrem Vorwort beschreibt – der Wunsch, sofort bei Google nachzuschlagen, ob die Hotels und die Restaurants, die die beiden Manns schildern und empfehlen, wohl immer noch existieren.

Kein weltbewegendes Buch also – Erika wie Klaus haben Wichtigeres geschrieben. Aber ein Schmökerlein für einen warmen Sommerabend oder einen Winterabend vor dem (hier nicht existierenden) Kamin ist es allemal.

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