Friedrich Müller (Maler Müller): Fausts Leben dramatisiert

Offen gesagt, hat mich dieser Text äußerst angenehm überrascht. Johannes Friedrich Müller, den man den „Maler Müller“ nannte, um ihn von den vielen anderen Müllers zu unterscheiden, die in jener Zeit die Literatur unsicher machten – „Maler“ deshalb, weil er auch malte. Eigentlich hauptsächlich malte, immerhin setzte ihm später der bayerische König eine Pension aus und ernannte ihn zum königlich bayerischen Hofmaler. In der Literatur zählt man ihn zu den minderen Poeten des Sturm und Drang. Dritte Garde, wenn nicht vierte. Kaum, dass er heute noch in Fußnoten der Literaturgeschichtsschreibung erwähnt wird.

Fausts Leben dramatisiert aber hat es durchaus in sich. Sicher, die Sprache ist (mit einer Ausnahme, auf die ich noch kommen werde), biederer Sturm und Drang: ein wenig Studentensprache, ein paar Schimpfwörter – und nicht einmal allzu arge. Aber, wenn wir seinem Vorwort glauben wollen, hat Müller diesen seinen Faust geschrieben, weil die Figur des Faust schon in meiner Kindheit immer einer meiner Lieblingshelden war. Dass praktisch gleichzeitig Lessing und Goethe ebenfalls an diesem Stoff arbeiteten, wusste er zwar zum Zeitpunkt der Niederschrift der Vorrede, nicht jedoch zum Zeitpunkt der Niederschrift des Dramas selber. So kommt es, dass dieser Faust hier gerade noch geschrieben wurde ohne ein Wissen um Goethes Monumentaldrama – und schon gar nicht, wie zum Beispiel Lenaus Faust gegen dieses. Wohl ist die dahinter stehende Tradition – das „Volksbuch“, das Puppenspiel – dieselbe, aber Müller greift die Geschichte ganz anders an. Erfrischend anders.

Es beginnt schon mit dem Anfang, wo zunächst eine Bande von Teufeln auftritt. Sie gehören alle zum Hofstaat ebenfalls bald auftretenden Oberteufels Luzifer. Und rasch erfahren wir, dass offenbar eine Art Bürgerkrieg in der Hölle ausgebrochen ist, zwischen den Anhängern Luzifers und denen Molochs. Zankapfel ist die Erde, bzw. der Mensch. Moloch würde die Erde gern weiter existieren lassen, denn die Menschheit amüsiert ihn. Luzifer hingegen möchte diese Welt sofort zerstören – die Menschheit erfüllt bei weitem nicht die Ansprüche an Bosheit und Ehrgeiz, die er an sie stellt. Da hilft es auch nichts, wenn verschiedene Unterteufel auftreten, die verantwortlich sind für bestimmte Teilbereiche der menschlichen Existenz, wie zum Beispiel Literatur oder Malerei. Die geneigte Leserschaft ahnt es: Dies gibt Müller die Gelegenheit für einiges an Literatur- bzw. Kunst-Satire. Nur einen Teufel gibt es, der zwar ebenfalls zu Luzifers Gefolge gehört, sich aber unabhängiger gibt: Mephistophiles. (Die Schreibweise des Namens weist schon zurück auf das „Volksbuch“.) Er bietet Luzifer einen Handel an, denn er hat offenbar einen interessanten Menschen gefunden, und nun geht es darum, ihn auf die dunkle Seite der Macht zu ziehen. Dieser Mensch ist natürlich Faust. (Und dass der Handel hier zwischen Oberteufel und Unterteufel stattfindet, und nicht, wie dann bei Goethe, zwischen Gott und Teufel, sei nur am Rande bemerkt. Ja, Gott kommt im ganzen Drama nicht vor.)

Mephistophiles‘ Vorgehen ist dabei ein ganz anderes, als das der anderen Mephistos und Teufel, die wir bisher angetroffen haben. Als erstes sorgt er dafür, dass Faust, der sein Geld einem Goldschmied als Bürgen geliehen hat, diese seine Bürgschaft verliert und zu einem armen Mann wird. Mephistophiles‘ Werkzeug ist dabei ein Advokat namens Knellius, der schon lange ein eifersüchtiges Auge auf den erfolgreichen Faust geworfen hat. Knellius seinerseits bedient sich zweier Geldverleiher – Juden, die Mauschel und Izick heißen. Die Namen und ihr Beruf zeigen eine – zu Müllers Zeit nicht unübliche – antisemitische Haltung, die heute freilich aufstößt. Die beiden Juden haben einige eigene Auftritte, und hier zeigt sich eine weitere Spezialität Maler Müllers. Sie reden nicht hochdeutsch miteinander, sondern jiddisch-lotegorisch, einen Soziolekt der pfälzischen Juden bzw. Händler. Ganze Szenen werden so abgehandelt. Gegen dieses sprachliche Wagnis ist – mit Verlaub – das berühmte Götz-Zitat ein Klacks.

Dazu kommen noch viele weitere Figuren, Eckius und Kölber zum Beispiel, zwei Studenten, die Faust auch mit dem Degen in der Hand unterstützen; Herz, der sich nicht zu schade ist, sich als Matrone zu verkleiden, damit er und seine beiden Freunde Eckius und Kölbel in nähere Bekanntschaft mit zwei jungen Frauen treten können (denn es finden sich auch Nebenhandlungsstränge). Soldaten treten auf, und die aus Invaliden bestehende ‚Leibwache‘ des Intriganten Knellius. Last but not least der Gottesspürhund, der so heißt, bzw. sich selber so nennt, weil er der Meinung ist, aus der Physiognomie eines Menschen seinen Charakter erkennen zu können. (Es stammt dieser Gottesspürhund aus Zürich und kommt auf einem Schimmel nach Ingolstadt. Ein Schelm, wer Übles dabei denkt.) Dass er bei seiner Ankunft zunächst Eckius, und dann, als dieser ihm sagt, er sei’s nicht, Kölbel als den berühmten Faust identifiziert, sei nur nebenbei gesagt.

Das Drama endet in dem Moment, als Faust in einen tiefen, von Mephistophiles induzierten Schlaf verfällt – aber noch bevor er seine Seele dem Teufel verschreibt. Denn: Fausts Leben dramatisiert sollte nur der erste von fünf Teilen sein – blieb aber der einzig erschienene. Wahrscheinlich hätte Müller die Originalität in Sprache und Führung der Story nicht halten können. Trotz des fragmentarischen Charakters aber (oder eben: vielleicht gerade deswegen) haben wir hier ein sehr lesenswertes Kleinod unter den Faust-Bearbeitungen der deutschen Literatur vor uns.

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