Joseph Roth: Hotel Savoy

Stilisiertes Potraitfoto von Joseph Roth. - Ausschnitt aus Buchcover.

Łódź (Polen), einige, aber nicht allzu lange Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Im Hotel Savoy trifft sich eine bunte Gruppe von Menschen. Darunter ist auch der Ich-Erzähler, Gabriel Dan. Er ist nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft auf dem Weg zurück nach Hause. Unterwegs legt er immer wieder Pausen ein, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. So eine Pause stellt auch das Hotel Savoy dar, stellt die Stadt Łódź dar. Aber immerhin kann Dan nicht umhin, gleich zu Beginn festzustellen: Zum ersten Mal nach fünf Jahren stehe ich wieder an den Toren Europas. Er hat es nicht eilig mit einer Weiterreise; offenbar wartet zu Hause niemand auf ihn.

Nicht alle Protagonisten des Romans wohnen im Hotel selber, ein paar leben in der Stadt. Aber das Hotel ist dennoch der geografische und geistige Mittelpunkt des Textes. Auf sieben Stockwerken hat es 864 Zimmer. Diese Zimmer sind immer alle belegt. Nicht alle Zimmer sind gleich teuer. Während in den unteren Stockwerken die Reichen sich aufhalten, leben weiter oben die Armen. Im siebten Stock die ganz Armen – Leute, die im nahe gelegenen Varieté auftreten, wenig Geld haben und so im Dunst der schmutzigen Wäsche und der heißen Seifenlauge leben müssen, weil die Hotelwäscherei auch im siebten Stock untergebracht ist. Die Stockwerke verbindet ein Lift; der Liftboy ist eben kein „Boy“, sondern ein älterer Mann namens Ignatz. Später zieht ein kroatischer Ex-Soldat mit in Dans Zimmer ein, Zwonomir Pansin. Der bezeichnet alles, was er für großartig oder auszeichnet gelungen hält als Amerika. Amerika ist für ihn Substantiv, Adjektiv, Adverb und Verb in einem.

Hotel Savoy erschien 1924. Die Tendenz der Verklärung der USA haben wir auch im sechs Jahre später erschienenen Hiob ausmachen können; hier ist sie allerdings noch mehr ironisch gebrochen, ist doch Zwonomir nun nicht gerade der große Denker vor dem Herrn. Allerdings findet er nicht nur Amerika großartig, sondern auch proletarische Revolutionen. So wundert es nicht, wenn er zum Schluss des Romans ein einer solchen in Łódź teilnimmt. Wahrscheinlich – so genau weiß es Dan nicht – kommt er darin um. Ganz sicher aber brennt dabei das Hotel ab. Wir verlassen den Ich-Erzähler auf dem Bahnhof von Łódź, wo er auf den nächsten Zug wartet. Welche Destination der Zug hat, sagt Dan nicht. Wir nehmen an: Europa.

Die gescheiterte Revolution, die Höhepunkt und Ende des Romans darstellt, ist denn auch der einzige dramatische Part des Romans und zugleich dessen Höhe- und Schlusspunkt. Ansonsten geschieht nichts Nennenswertes; auch die Personen bleiben sich den ganzen Roman über gleich.

Der ganze Roman ist wohl allegorisch zu verstehen. Betrachten wir zum Beispiel das Hotel:Wir haben sieben Stockwerke vor uns, deren Bewohner nach bestimmten (hier ökonomischen) Gesichtspunkten von einander geschieden sind: Der Aufbau von Roths Hotel Savoy erinnert somit in vielem an die Hölle oder Vorhölle zum Beispiel der Divina Commedia Dantes. Ignatz, der alte Liftboy, der die Gäste in ihr Stockwerk bringt, ist der Fährmann, der die Seelen der Toten über den Acheron bringt. Er bringt sie manchmal auch zurück, aber viel mehr als lebende Tote sind die Bewohner des Hotels allesamt nicht. Und wenn zum Schluss das Hotel abbrennt, Ignatz im Brand umkommt und in seinem Tod sich als nicht nur der Liftboy, sondern als der Besitzer des Hotels entpuppt, so tauscht Dan offenbar nur eine Vorhölle gegen die nächste – den Zug nach irgendwo. Denn der Ort der Handlung spielt im Grunde genommen keine Rolle: ohne derart mit dem pädagogischen Zaunpfahl zu fuchteln, wie der Franzose, so kann man doch schon für Roths Hotel Savoy das Fazit ziehen: Die Hölle, das sind die anderen.

Und wenn Dan meint, an den Toren Europas zu stehen, so steht über dem Torbogen dieses Europa, was über jenem anderen Torbogen stand: Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!

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