Hunter S. Thompson: Fear and Loathing in Las Vegas [Angst und Schrecken in L. V.]

Eine Kröte und ein Mann mit Sonnebrille fahren im Auto durch ein Wüste mit ein paar Kakteen. Illustration von Ralph Steadman. Ausschnitt aus Buchcover.

Hunter Stockton Thompson (1937-2005) gilt als Erfinder des von ihm so getauften Gonzo Journalismus. Anders als bei der klassischen Berichterstattung wird ein Gonzo Journalist nicht nur nicht versuchen, so objektiv wie möglich zu informieren, er wird im Gegenteil sogar sich aktiv ins Geschehen einbringen, mitmachen, teilhaben – und er wird in seinem Bericht seine eigene Person keineswegs weglassen, sondern sie ins Zentrum des Textes stellen. Die Grenze von dieser Art der Berichterstattung zur Literatur ist fließend. Zumindest Thompson aber wies als Bestätigung einer sachlichen Korrektheit seiner Berichte immer auch Tonbandaufnahmen mit Interviews vor.

Fear and Loathing in Las Vegas ist der bekannteste Text Thompsons. (Ich zögere, ihn „Roman“ zu nennen, denn bei aller Fiktionalisierung und ein paar Änderungen an den Tatsachen, erzählt Thompson in der Ich-Form, unter dem Pseudonym Raoul Duke, von zwei aktuell ausgeführten Reisen nach Las Vegas. Selbst sein Reisebegleiter, mein samoischer Anwalt, Dr. Gonzo existiert Er hieß in Wirklichkeit Oscar Zeta Acosta und war zwar Anwalt, aber nicht Samoaner sondern Chicano – US-Amerikaner mexikanischer Deszendenz.)

Fear and Loathing in Las Vegas erzählt auf den ersten Blick von einer Reise zweier durchgeknallter Typen nach eben dieser Stadt. Wir stoßen zu Beginn auf den Ich-Erzähler, Raoul Duke, der mit seinem Anwalt Dr. Gonzo in einem knallroten Chevy Cabriolet durch die Wüste nach Nevada fährt. Duke nennt sich Journalist, und er hat auf seltsamen Umwegen den Auftrag erhalten, in Las Vegas die Mint 400 zu dokumentieren (ein Off-Road-Rennen für Motorräder und Buggys, das es tatsächlich gibt). Hotelspesen, Mietauto – alles bezahlt. In einem Rückblick erfahren wir, wie Duke zu seinem Auftrag gekommen ist, zu seinem Auto und – vor allem – zu den Drogen, mit denen sie den Wagen abgefüllt haben:

Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher … sowie einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter unverdünnten Ether und zwei Dutzend Poppers. Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten. Nicht, dass wir das ganze Zeug für den Trip wirklich brauchten, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, eine ernsthafte Drogen-Sammlung anzulegen, neigt man eben dazu, extrem zu werden.

Doch nicht nur den Wagen haben sie abgefüllt – sich selbst gleich mit. Und so kommt es, dass Duke schon in der Wüste vor Las Vegas seine ersten Horror-Halluzinationen erlebt.

So weit, so gut, aber, wirst Du, geneigtes Publikum, wohl denken, uninteressant. Die Trips und Halluzinationen, die die verschiedenen Mischungen so seltsamer Substanzen in den beiden bewirken, sind allenfalls für einen Arzt oder einen Toxikologen von Interesse. Ich gebe Dir Recht, geneigtes Publikum. Wenn der Roman nur das wäre, könnten wir ihn beiseite legen. Aber er ist mehr. Wirklich faszinierend nämlich ist etwas anderes, etwas, das den Text von einem Ego-Trip auf Drogen zu einem wichtigen Text nicht nur der US-amerikanischen Literatur macht.

Duke und Gonzo missbrauchen die Vorschüsse ihrer Auftraggeber, um in Las Vegas – von allen Orten ausgerechnet dort! – American Dream zu finden. Die USA sind, so viel ich weiß, das einzige Land auf diesem Planeten, das the pursuit of happiness in seiner Verfassung zum unabdingbaren Recht eines jeden seiner Bürger und Bürgerinnen macht. Dieses Recht nehmen unsere beiden Protagonisten nun für sich in Anspruch. Hier erst, nicht im Drogengebrauch und -missbrauch, zeigt sich die Qualität von Thompsons Art zu schreiben. Denn natürlich halten Duke und Dr. Gonzo Glücksspiel, Prostitution und Drogenhandel – das ist das einzige, was sie in Las Vegas finden – nicht für die Realisierung des American Dream. Hinter Dukes Macho-Gehabe findet sich ein ganz weicher Mensch, der zwar nicht in Tränen ausbricht, sondern zum Berserker wird, wenn er zufällig im Radio Lieder der Beatles oder von Bob Dylan hört. Man spürt: Diese Lieder hatten ihm etwas zu sagen gehabt, und man spürt seine Enttäuschung darüber, dass diese Lieder, die ganze Protestbewegung der 1960er, durch die Naivität seiner Protagonisten sich im Sand verlaufen haben oder gar zu Kommerz geworden sind. Das Amerika, das sie tatsächlich vorfinden, besteht aus Glücksspiel, Prostitution und Drogenhandel, ein paar ganz Reichen und sehr vielen Armen, gewalttätigen und korrupten Polizisten, die dabei noch nicht einmal in der Lage sind, die Realität der Drogenszene der 1970er zu erkennen und sich auf einem Kongress gegenseitig vor einer LSD-Szene warnen, die schon seit 10 Jahren verschwunden ist. (Welch letzteres Duke wieder zu einem seiner Wutanfälle führt.)

Eine bizarre Geschichte, unmöglich zusammen zu fassen, mit Protagonisten, die allesamt völlig unsympathisch sind. Doch ich wurde als Leser bereits mit dem Motto gewarnt. Es stammt von Samuel Johnson und lautet sinngemäß übersetzt: Wer sich zum Tier macht, wird den Schmerz los, ein Mensch zu sein. Das passt perfekt auf Duke und Dr. Gonzo. Das Buch bietet im Folgenden einen tiefen Blick hinter die Kulissen von Las Vegas und damit hinter die Kulissen des American Dream von Reichtum und Glück, wie ihn sich der kleine Mann halt so vorstellt. Fear and Loathing in Las Vegas ist ein Roman, in dem letzten Endes nichts geschieht, weil bei aller Gonzo Journalistik Raoul Duke doch nur macht- und einflussloser Zuschauer und Berichterstatter ist.

(Ach ja: Loathing bedeutet nicht „Schrecken“, sondern „Abscheu“ – und genau das ist es, was Duke und Dr. Gonzo gegenüber Las Vegas empfinden. Und was die Leute von Las Vegas, mit denen sie in Kontakt kommen, ihnen gegenüber empfinden: Angst und Abscheu. Der Ausdruck Fear and Loathing wird dementsprechend des öfteren wiederholt.)

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