H. G. Wells: The War of the Worlds [Der Krieg der Welten]

Wie eigentlich alle, die zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Science Fiction (oder ‚Scientific Novels‘, ‚Utopische Romane‘ und wie immer man sie klassifizierte – wenn überhaupt) über den Mars schrieben, ist auch H. G. Wells natürlich nicht unbeeinflusst geblieben von der vermeintlichen Entdeckung künstlicher Kanäle auf der Marsoberfläche durch den italienischen Astronomen Giovanni Virgiono Schiaparelli. Und natürlich fiel auch er auf die im Grunde genommene falsche Übersetzung des italienischen Wortes ‚canali‘ ins Englische herein, wo das Wort sich als ‚canal‘ wiederfand – was im Englischen ein künstlich erstellter Kanal ist, während Schiaparelli mit seinem ‚canali‘ das meinte, was im Englischen ‚channel‘ heißt und eine natürliche Verengung einer Wasserverbindung zwischen zwei Seen oder Meeren meint. (Wie beim Ärmelkanal, den die Engländer ganz simpel ‚channel‘ nennen. Im Deutschen übrigens, wo ‚Kanal‘ beides bedeuten kann, künstliche wie natürliche Verbindungen zwischen zwei Gewässern, war man vor der Fehlinterpretation auch nicht gefeit.) Künstlich erstellte Kanäle bedeuten folgerichtig, dass da auch ein Jemand, ein Volk existieren musste, das diese Kanäle erstellt hatte – die Geburt der Marsmenschen.

Nehmen wir hinzu, dass offenbar Wells einmal mit seinem Bruder darüber diskutierte, wie wohl die Briten reagieren würden, wenn eine technisch überlegene Macht mit der gleichen Rücksichtslosigkeit London angreifen würden, mit der die Briten gerade ihre Kolonialmacht in Tasmanien erweiterten, so haben wir zwei der wichtigsten Wurzeln des Kriegs der Welten.

Bei Wells nämlich reisen nicht die Erdbewohner zum Mars, sondern die Marsmenschen reisen zur Erde, und dies eben nicht in friedlicher Absicht, sondern in Form einer kriegerischen Invasion Die Menschen haben der überlegenen Technik der Marsianer, die mit Hitzestrahlen und einer Art Giftgas rücksichtslos alles töten, was sich ihnen präsentiert – egal ob Soldat oder Zivilist –, die Menschen also haben den Invasoren nichts Äquivalentes entgegenzusetzen und in kürzester Zeit sind London und Südengland besetzt. Dass die Marsianer zum Schluss mit ihrer Invasion dann doch scheitern, ist keineswegs irgendeiner menschlichen Handlung zuzuschreiben, sondern dem Umstand, dass sie (und auch ihre ungeheuer schnell wachsenden roten Pflanzen, die sie auszusäen begonnen hatten) offenbar in einer Welt ohne Bakterien leben und den irdischen Bakterien keine Abwehrstoffe entgegenzusetzen haben. Dass das Darwin’sche Diktum vom „Survival of the Fittest“ nicht nur auf den Kampf zwischen farbigen und weißen Menschen angewendet werden konnte, sondern auch auf den Kampf des Menschen mit solchen Kleinstlebewesen wie den Bakterien, und dass da im Grunde genommen ein ständiges Gleichgewicht der Kräfte herrschte, bei dem jeder mit jedem im Kampf war, aber auch jeder von jedem profitierte, war eine Einsicht, die sich zur Jahrhundertwende gerade erst durchzusetzen begann.

Von den vier frühen Science Fiction-Romanen, die H. G. Wells geschrieben hat (The Time Machine, The Island of Doctor Moreau, The Invisible Man und eben dieser hier), ist The War of the Worlds nicht nur der späteste (er erschien 1898), sondern auch der literarisch bei weitem beste. Zwar sind auch hier der anonyme Ich-Erzähler und sein Bruder (dessen Abenteuer zum Teil nacherzählt werden) mehr oder weniger Pappkameraden, die keinerlei Interesse an ihrer Person bei den Lesenden hervorrufen – reine Erzählmaschinen. Aber genau dadurch, dass sich Wells über weite Strecken darauf beschränkt, fast emotionslos vom Standpunkt und dem Wissen des Ich-Erzählers her zu berichten, gelingt es ihm, die Angst und den Schrecken, den diese unerwartete Invasion bei der Bevölkerung erregt, nachvollziehbar zu machen. Weniger in seinen Erzählern selber – die sind, wie gesagt, Pappkameraden – sondern bei den übrigen Leuten, die die beiden Berichterstatter sehen und schildern. Was schon beim Unsichtbaren der bessere Teil gewesen war, entpuppt sich auch hier als Wells‘ Stärke: die Beschreibung der Landschaft und der Reaktionen der einfachen Leute in Südengland auf ein schreckliches Ereignis, auf das sie in keiner Art und Weise vorbereitet sind. In beiden Fällen, bei der Zerstörung Londons wie beim Überfall auf den Süden Englands, verwendet Wells seine eigenen intimen Kenntnisse von Land und Leuten. Wenn er die Zerstörung Londons beschreibt, beschreibt er den Teil Londons, den er selber kennt, und so wird dieses London hier nun bedeutend lebendiger und interessanter als das gesichtslose London, das wir noch in der Zeitmaschine vorfanden. Wenn er die Reaktion der Leute auf dem Land beschreibt, wo das erste vom Mars abgeschossene Projektil einschlägt, so beschreibt er seinen damaligen Wohnort in Sussex, beschreibt er seine Nachbarn. Da ist Leben drin – auch im Sterben der Leute, so seltsam das klingt. Das weckt das Interesse der Lesenden, und wenn Wells die heillos unkoordinierte Flucht (sowohl aus London wie aus Sussex) darstellt, wirkt es, wie wenn er die heillos unkoordinierten Fluchten aus Kriegsgebieten gesehen hätte, die im späten 20. und im 21. Jahrhundert stattfanden und -finden. Wenn der Ich-Erzähler berichtet, wie er unter der Besetzung durch die Wälder kriecht und in fremde Häuser einbricht, wo er Lebensmittel und Verstecke sucht, so übertrifft er in der Schilderung der Verzweiflung, die über jedes bürgerliche Rechtsempfinden triumphiert, ähnliche Schilderungen in Cormac McCarthys The Road um Meilen – und sei es nur, weil bei Wells kein alles wissender Vater jeden Einbruch zu einer Lektion in Überleben macht, wie es bei McCarthy ständig der Fall ist.

Man lese den Meister, nicht seinen Schülersschüler. Von allen vier frühen Science Fiction-Romanen Wells‘ kann ich den hier als einzigen wirklich empfehlen. Nur hier heben die Stärken Well’schen Erzählens seine Schwächen einigermaßen auf. Nur hier richtet sich seine latente Wissenschaftsfeindlichkeit für einmal nicht gegen die wissenschaftliche Forschung an sich, sondern einzig gegen deren militärische Verwertung. Nur hier haben wir Leben vor uns und keine Pappkameraden.

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