Karl-Heinz Ott: Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens.

Der Autor war mir bislang völlig unbekannt, hat Romane geschrieben, Theaterstücke, Essays zu musikalischen Themen als auch Kulturgeschichtliches. Das vorliegende Buch ist eine Abrechnung mit einigen reaktionären Denkern und Schriftstellern (wie im Titel anklingt), die sich der Rationalität, dem analytischen Philosophieren verweigern und in dem subjektivistischen Denken (das Ott mit Descartes beginnen lässt) den Niedergang des Abendlandes zu erkennen glauben.

Vorab: Das Buch bietet kaum Struktur, ist eine Sammlung essayistischer Arbeiten, häufig redundant, die Auswahl der behandelten Philosophen erscheint arbiträr, bestimmt durch den rechtspopulistischen Konservativismus, der langsam an den Universitäten (etwa in den USA) wieder Einzug hält. Dass ein Buch die persönlichen Vor-(Hass-)lieben eines Autors widerspiegelt ist trivial und sagt nichts über dessen Qualität aus, im vorliegenden Fall hingegen ist die Fokussierung auf Carl Schmitt, Leo Strauss und Eric Voegelin (über rund 300 Seiten) eine ziemlich ermüdende Kost. Denn es wird nicht wirklich klar, was an diesen Philosophen (einzig Schmitt wird einem größeren Kreis bekannt sein) Besonderes sein soll, dass ihnen eine solche Aufmerksamkeit zuteil wird, sodass man mit fortgesetzter Lektüre den Eindruck gewinnt, Ott habe sich leicht (und mit Recht) zu kritisierende Opfer gesucht, um an ihnen die Einfalt rechtsreligiöser, antidemokratischer Strömungen zu demonstrieren. Kann man machen, ist aber in der vorliegenden Form langweilig und der erwähnten Redundanz wegen mit bescheidenem Erkenntnisgewinn verbunden.

Das Verfahren ist immer ähnlich: Das Denken von Schmitt, Voegelin und Strauss wird auf geistige Mentoren zurückgeführt (etwa Burckhardt, Nietzsche, die dann auch dem Verdikt anheim fallen), ihre religiös-konservativen und zum Dogmatischen neigenden Ansichten einer Neuzeit gegenübergestellt, die dem Fortschritt, der Aufklärung, der demokratischen Mitbestimmung huldigt, während scheinbare Gegner eines solchen Denkens – worunter erstaunlicherweise Hegel zu finden ist (der im rigide regierenden preußischen Staat den Weltgeist am Werke sah und mit Wissenschaft oder Demokratie nicht mehr am Hut hatte als ein Carl Schmitt) relativ unbeschadet wegkommen. Ähnlich bei Teilem der Frankfurter Schule, an deren Aufklärungsbegriff nur ganz zart Kritik geübt wird (Marcuse oder Horkheimer hielten die “Masse” aus linker Weltsicht für mindestens ebenso dumm und unfähig zu vernünftigen Entscheidung wie Schmitt, Voegelin und Strauss, die im streng platonischen Sinne an Philosophenkönige glaubten – oder sich am liebsten dafür gehalten hätten). All diese Gegenüberstellungen und Auseinandersetzungen wirken höchst unausgegoren und mit großen Bereichen der Philosophie scheint Ott sich nie beschäftigt zu haben: Popper, Albert, Vertreter des Wiener Kreises, Max Weber werden gar nicht oder höchstens en passant erwähnt.

Der am besten lesbare Teil ist jener über die Literatur und deren häufig mehr oder weniger gut verborgenen Haltungen zu einem religiös verbrämten, totalitären Staat (unter anderem werden hier Baudelaire und – wenig überraschend – Joris K. Huysmans erwähnt). Wichtiger scheinen aber zwei andere Namen, die zwar nicht als Literaten durchgehen, aber für dieselben große Bedeutung erlangt haben: Michel Foucault und Walter Benjamin. Letzterer wird zwar immer von linken Theoretikern für sich in Anspruch genommen, hat aber enge Beziehungen zu Carl Schmitt gepflogen und seinem religiös-autoritären Programm viel abgewinnen können (Benjamin ist ein Paradebeispiel für einen Schriftsteller, der aufgrund seiner nebulösen, abgehobenen und dadurch beliebig interpretierbaren Schreibweise von allen und jeden in Anspruch genommen werden kann). Bei Foucault und seiner Affinität zu Machtstrukturen, seiner Ablehnung von Aufklärung und Technik ist der Fall offenkundig: Er war (meines Wissens) der einzige Intellektuelle, der sich nicht enblödete, dem Ayatollah Khomeini noch im Iran einen Besuch abzustatten und über die Mullahs sich bewundernd auszulassen: “Die Autorität der Geistlichen ist rein spiritueller Natur; ihr Einfluss beruht auf der Fähigkeit, den Wünschen der Menschen Ausdruck zu verleihen und sie gleichzeitig anzuleiten.” Er schwadroniert von der “politischen Spiritualität” dieser Geistlichen und meint über ihnen ein Licht leuchten zu sehen, über das er sagt: “[Es] erleuchtet gleichsam von innen das Gesetz, das nicht nur bewahrt werden muss, sondern auch den darin offenbarten spirituellen Sinn über die Zeiten weg vermitteln soll.” Ein wenig Erleuchtung hätte ihm selbst auch gutgetan (schon seiner sexuellen Orientierung wegen hätten ihm die erleuchteten Geistlichen alsbald den Garaus gemacht). Postmoderne meets Esoterik – da kann jedwede Vernunft schon mal auf der Strecke bleiben.

Trotz dieses recht lesbaren letzten Teiles hatte (und habe) ich so meine Zweifel, ob die mit dem Buch verbrachte Lesezeit nicht anderweitig besser hätte genutzt werden können. Otts philosophisches Terrain scheint doch recht beschränkt zu sein: Ein linker Intellektueller kritisiert die peinlichen, einfältigen Haltungen des rechts-religiösen Konservativismus. So weit – so gut, dabei ist nun auch nicht wirklich viel falsch zu machen. Dass er mit Foucault auch der Postmoderne (ebenfalls mit Recht) zu Leibe rückt, ehrt ihn. Aber wer eine “Geschichte des reaktionären Denkens” zu leisten vorgibt, sollte mit wesentlich mehr aufwarten können als in dieser Essaysammlung zu finden ist.


Karl-Heinz Ott: Verfluchte Neuzeit. Eine Geschichte des reaktionären Denkens. München: Hanser 2022. (ebook)

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