Es braucht, um von Einfluss auf die Allgemeinheit zu sein, auf das, was man heute „Kultur“ nennt, ganz eindeutig keine grosse Intelligenz. Von den It-Girls, C-Promis und -Aristokraten, die die bunten Illustrierten und ebenso bunten Tages“zeitungen“ schmücken, mal ganz zu schweigen – auch auf andern Gebieten ist anderes als Intelligenz offenbar wichtiger.
Die Frage ist nur: Was? Da haben wir zum Beispiel den Fall „Rudolf Steiner“. Obwohl er später doktoriert (zugegeben in echt, ohne abzuschreiben!), hat er keine systematische Ausbildung genossen, selbst das Gymnasium fehlte ihm. Wenn er sich denn also, was er vor allem in seinen frühen Jahren offenbar des öftern tut, zu Fragen der Philosophie äussert, bleibt er irgendwie an der Oberfläche derselben kleben. Er vertritt einen laienhaften Idealismus, ist nicht in der Lage, systematisch-kohärent zu argumentieren. Schon bald funkt ihm jener andere philosophisch-naturwissenschaftliche Amateur in sein System, dem er sein Leben lang in Verehrung angehören wird: Johann Wolfgang von Goethe. Goethes Urpflanze, die Idee, die der alte Mann vom Weimarer Hausberg herab zu erblicken meinte, wurde für Steiner zum Vorbild wissenschaftlichen Erkennens. Wie Goethe misstraute Steiner der Mathematik, wie Goethe hatte er überhaupt kein Auge für die professionell betriebene Naturwissenschaft seiner Zeit.
Steiner fungierte zweimal als Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes, beide Male in Editionen, die historisch-kritisch waren. Dabei war Steiner so wenig Philologie wie Philosoph oder Naturwissenschafter. Kein Wunder, sammelte die philologische Fachwelt bald Hohn und Spott auf Steiners Haupt. Zum Job als Herausgeber war er ja mehr über Beziehungen denn über Fachwissen gekommen; Beziehungen verbunden mit der Tatsache, dass all die geisteswissenschaftlich geschulten Hauptherausgeber von Naturwissenschaft nicht nur noch weniger Ahnung hatten als Goethe oder Steiner, sie waren gar nicht erst daran interessiert.
Steiner hingegen interessierte die Naturwissenschaft, auch wenn er sie in einer ziemlich verqueren Perspektive sah. Steiner – in dieser Hinsicht ein Musterbeispiel des Autodidakten – interessierte überhaupt alles. So kommt es, dass wir in seinem Werk Schriften zur Naturwissenschaft ebenso finden wie welche zur Philosophie, zur Pädagogik, zur Medizin, zu …
Dabei hatte er von keiner dieser Disziplinen wirklich eine Ahnung. Seine Grundsätze zur Pädagogik sind krude, ohne wissenschaftliche Absicherung geäusserte Ideen. Das Ganze basiert auf einer vagen, aus Gedanken von Philosophie, Religionen und extra-vagem mystischen Schauen hervorgegangenen Weltanschauung. Es sind nicht aus Untersuchungen zur geistigen Entwicklung hervorgegangene Ideen, die Steiner dazu führen, eine im weitesten Sinne künstlerische Betätigung seiner Eleven zu fördern vor jeder intellektuellen. Es ist eine vage Idee dessen, was der Mensch „wirklich“ sei.
Steiners ganze Anthroposophie ist denn auch keine „Wissenschaft vom Menschen“. Es ist eine „Weltanschauung“, basierend auf esoterischem Gewäsch seiner Zeit. Im Grunde genommen ist Steiner der Begründer einer Sekte gewesen. Stossend an der Geschichte ist vor allem, dass die Ideen, die Steiner aufnimmt und wiedergibt, nicht alle lupenrein sind. Der Gedanke der „Wurzelvölker“, der im Zentrum seines Geschichtsdenkens steht, hat zum Inhalt, dass in gewissen Weltabschnittszeiten gewisse Völker die Entwicklung der Menschheit bestimmen. Waren das in früheren Weltabschnittszeiten z.B. die Leute von Atlantis, so sollen das in der Gegenwart die – Arier sein. Da bleibt einem, selbst und gerade wenn man Steiners Schriften zum Amüsement liest, wie man Fantasy liest, – da bleibt einem ein Brocken im Hals stecken.
Bleibt die Frage, warum Steiner und seine kruden Ideen auch heute noch Erfolg haben. Steiner war ein Vielschreiber und vor allem ein Vielredner. Die Zahl seiner gehaltenen Vorträge ist Legion. Dass er zu seinen Lebzeiten allein durch Masse beeindruckte, mag wohl sein. Aber auch heute noch sind die Waldorf-Schulen ein Erfolgsmodell, obwohl keine wissenschaftlich begründete Pädagogik dahinter steht. Eskapismus? Das Gefühl, man wolle seine Kinder nicht dem Erfolgsdruck der kapitalistischen Gesellschaft aussetzen? Das Goetheanum, als Klinik für unheilbar Krebskranke, blüht. Dabei ist Steiners Medizin ebenso krude und unwissenschaftlich wie alles andere von ihm. (Eine Zeitlang zumindest propagiert er aufgrund völlig an den Haaren herbeigezogener Theoreme, die eher an Alchimie erinnern denn an Chemie, Heilung durch Verabreichung von – Blei.) Dennoch gilt das Goetheanum als letzte Hoffnung für von der Schulmedizin aufgegebene Krebspatienten. Scharlatanerie? Schamanismus? Das Klammern an einen Strohhalm?
Ich weiss es nicht. An Steiners Schriften kann es nicht liegen. Selbst wenn der Mann ein charismatischer Redner gewesen sein sollte (Tucholsky war allerdings alles andere als beeindruckt vom Redner Steiner): Seine hinterlassenen Schriften sind stilistisch hölzern, und er mischt darin Kraut und Rüben. Zum Nachteile aller Gemüsebauern …
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