Helmut Qualtinger – so der Werbeflyer des Verlags zur neunbändigen Ausgabe der literarischen Werke Helmito von Doderers – soll gesagt oder geschrieben haben, eine Doderer-Lektüre sei zweckmässig mit diesem Werk zu beginnen. Weil es sich dabei um einen leichter verdaubaren Kriminalroman handle.
Es stimmt, dass die Handlung auf den ersten Blick einem Kriminalroman gleicht. Ein gewiefter Krimileser wird allerdings nach der Lektüre des Klappentexts den Ausgang der Kriminalhandlung erraten können. Schliesslich ist es nicht so, dass Doderer den Krimi neu erfunden hätte – oder auch nur diesen Ausgang. Die Grand Old Lady des Krimis, Agatha Christie, hat ihn ebenfalls schon verwendet.
„Ein Mord den jeder begeht“ ist aber auch ein Entwicklungsroman, in dem recht geradlinig die Entwicklung des Jungen Kokosch gezeigt wird. Dass Doderer dabei Elemente seiner eigenen Kindheit und Jugend einfliessen liess, liegt auf der Hand. Durch seine Geradlinigkeit ist das Werk tatsächlich einfach zu fassen.
Nur: Eine Darstellung von Kindheit und Jugend liegt Doderer nicht. Seine Kinder sind keine Kinder, sondern von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen zerfressene Erwachsene. Das mag noch hingehen, solche Kinder mag es geben. Hinzu kommt aber: Ständig unterlaufen ihm expressionistisch anmutende Überhöhungen. Da sind die Molche, die immer wieder auftauchen, nachdem der junge Kokosch sich von Strassenjungen verleiten liess, im nahe liegenden Tümpel ebenfalls welche zu fangen. Immer wieder tauchen diese Tiere, bzw. der Geruch des brackigen Wassers, in dem Kokosch diese Tiere dann zu Hause hielt, in seinen Erinnerungen auf. Und natürlich sind diese Momente expressionistisch signifikant.
Kokosch schliesslich studiert Maschineningenieur und macht Karriere als Schwiegersohn. In der Wohnung der Eltern seiner Frau entdeckt er ein Bild, das ihn fasziniert und beängstigt – wieder in typisch expressionistischer Manier. Es lässt ihn nicht mehr los. Er erfährt, dass es die Schwester seiner Frau darstellt. Diese Schwester ist vor Jahren auf mysteriöse Weise ermordet worden. Der Mord lässt ihn nun so wenig los wie das Bild. Konsequenterweise geht seine Ehe den Bach hinunter. Seine Frau verbringt mehr und mehr Zeit mit einer Clique junger Sportsleute – man entdeckt in den „besseren Kreisen“ zu jener Zeit gerade das Skifahren und das Tennisspiel -, während Kokosch mehr und mehr in der Suche nach dem Mörder seiner Schwägerin versinkt, obwohl er doch zu seiner Zeit auch ein recht passabler Sportsman gewesen war.
Mit Sicherheit nicht der beste Roman Doderers; auch wenn klar ist, dass so mancher ihn wohl gerne selber geschrieben hätte und ihn dort zu den Höhepunkten seines Schaffens zählen würde.
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