Rachilde: Madame Adonis

Ausschnitt aus einer alten Fotografie in Sepiatönen, die fürs Cover verwendet wurde, und die die britische Schauspielerin Lily Elise zeigt. Das Bild stammt von 1906 und – was man auf dem Ausschnitt nicht sieht – die Schauspielerin trägt einen Herrensmoking.

1889 erschien Rachildes Skandalroman Monsieur Vénus in einer überarbeiteten Version und dieses Mal nur noch mit ihrem Namen auf dem Titelblatt zum ersten Mal in Frankreich. Ein Jahr zuvor, 1888, war bereits dieser Roman hier, Madame Adonis, in Frankreich erschienen. Bei uns Lesenden weckt die zeitliche Koinzidenz und die Ähnlichkeit der Titel sofort den Verdacht, dass die beiden Romane Spiegelungen von einander sind. Verstärkt wird dies dadurch, dass die aktuell am einfachsten und billigsten erhältliche Ausgabe*) die beiden Romane ebenfalls vereint hat.

Doch wer nun ähnlich heiße Szenen oder gar Pornografisches erwartet von Madame Adonis wie von Monsieur Vénus, wird enttäuscht sein. In gewissen Sinn spiegelt Madame Adonis zwar den Vorgänger. Aber der Zusammenhang ist verborgener und nicht so einfach, wie wenn Rachilde an Stelle einer dominanten Frau mit einem unterwürfigen Mann nun einfach einen dominanten Mann mit einer unterwürfigen Frau gesetzt hätte. Das wäre – zumal wegen der Tatsache, dass das damals als Normalzustand einer Ehe betrachtet wurde – zu einfach gewesen und wohl tatsächlich in reine Pornografie ausgeartet.

Tatsächlich geht Rachilde dieses Mal ganz anders vor. Sobald man ein wenig mit der Lektüre voran geschritten ist, wird man sich des Umstands bewusst, dass sie hier eine Mischung aus Illusions perdues und Madame Bovary präsentiert. Wobei der Stil mehr Balzac ist, der Inhalt mehr Flaubert. Die Herausgeberin meiner Ausgabe, Martine Reid, geht so weit, den Stil als pastiche Balzacs zu bezeichnen (was keine Parodie oder Karikatur meint sondern eine nicht eigentlich witzig gemeinte Imitation).

Im Zentrum der Geschichte steht ein junges Pärchen aus der Provinz. Wir treffen sie, wie sie – gerade einmal ein Jahr verheiratet – dies mit einer Art zweiten Hochzeitsreise feiern. Eine Hochzeitsreise, die sie aber nicht aus der Provinz herausbringen wird. Der junge Mann ist nach dem Tod seines Vaters Inhaber einer kleinen Fassdaubenfabrik in einer kleinen Stadt geworden. Zumindest nominell – de facto steht er unter der Fuchtel seiner Mutter. Das führt zu Streit und Zerwürfnis bei unserem Pärchen, zumal sich beide noch in jemand anders verlieben.

Es verlieben sich (anders als bei Flaubert) nicht nur beide – sie verlieben sich auch noch in dieselbe Person. Lange halten sie Marcel (ihren Geliebten) und Marcelle (seine Geliebte) für Bruder und Schwester, aber es handelt sich um eine Frau von sehr androgyner Gestalt und bisexueller Natur, die sich gerne mal als Mann kleidet und aufführt. (Rachilde hat das natürlich nicht alles selber er-funden sondern einiges vorgebildet ge-funden: Gautiers Mademoiselle de Maupin mit ihren Verkleidungen als Mann wurde schon für Monsieur Vénus genannt, wo die Frau sich ebenfalls als Mann verkleidet; das Androgyne stammt explizit auch von Mignon – die im Übrigen allerdings eine ganz andere Persönlichkeit mit ganz anderen Problemen vorstellt.)

Wir sind bereits ein gutes Stück über die Hälfte des Romans hinaus gelangt, als zumindest wir Lesenden realisieren, dass Marcel und Marcelle ein und dieselbe Person sind. Das gibt Rachilde nun leider zu wenig Zeit, um noch die innere Zerrissenheit dieser Mignon-Gestalt näher darzustellen. Kaum haben wir einen kleinen Blick darauf erhascht, als Rachilde sich auch schon auf das tragische Ende ihrer Madame Adonis stürzt. Und uns als Coda eine plötzlich wieder glückliche Ehe des jungen Pärchens vorführt – was auf mich wirkt wie eine zynische Verbeugung vor dem Geschmack des durchschnittlichen Publikums einerseits, ironische Verbeugung vor dem Ende der Illusions perdues andererseits.

Persönlich ist mir der exorbitante und quirlige Roman um Monsieur Vénus lieber als die doch mehr dem (damaligen) Mainstream angepasste Madame Adonis. Aber ich weiß, dass Balzac, Flaubert oder auch Zola bis heute über eine hohe Zahl von Anhänger:innen verfügen, die also wohl auch Rachildes Roman schätzen könnten. Eine deutsche Übersetzung des Romans scheint allerdings nicht zu existieren.


*) Rachilde: Monsieur Vénus. Suivi de Madame Adonis. Edition présentée, établie et annotée par Martine Reid. Paris: Gallimard, 2024. (= folio classique, 7319)

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