Robin Sloan: Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra [Mr. Penumbra’s 24-Hour-Bookstore]

Clay Jannon ist Web-Designer. Er hat sogar einen (kleinen) Preis für seine Arbeit gewonnen. Aber sein Arbeitgeber ging Pleite, jetzt ist er arbeitslos und stromert durch San Francisco. Da sieht er in einer Seitengasse an der Ladentür einer Buchhandlung den Zettel:

AUSHILFE GESUCHT
Spätschicht
Spezielle Anforderungen
Gute Zusatzleistungen

Clay meldet sich und wird angenommen. Ab sofort arbeitet er nun in der Nachtschicht von Mr. Penumbras Buchhandlung. Schon bald merkt er, dass es sich um eine sehr spezielle Buchhandlung handeln muss. Selbst tagsüber kommen offenbar kaum Kunden vorbei; und die wenigen, die nachts auftauchen, kaufen nichts, sondern gehören offenbar einem etwas seltsamen Verein an. Sie weisen eine Mitgliedskarte vor, und Clay Jannon muss ihnen aus dem hinteren Raum der Buchhandlung, der fast endlos in die Höhe geht, alte Folianten anschleppen. Eine Sekte? Clay ist misstrauisch; aber er braucht den Job.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich eine ziemlich aberwitzige Geschichte. Die vermeintliche Sekte entpuppt sich als eine Geheimgesellschaft auf der Suche nach dem Code, mit dem die Memoiren des Aldus Pius Manutius verschlüsselt worden sind. Nichts weniger als das Ende der bestehenden Welt soll eingeläutet werden, wenn der Code geknackt wurde. Bestseller à la Da Vinci-Code lassen grüssen. Jannon ist zwar nur ein mässig guter Programmierer, aber er hat Freunde. Sein bester Freund, schon aus College-Zeiten, leitet eine gut laufende Firma, die sich aufs Programmieren von weiblichen Brüsten für Action-Games spezialisiert hat. Eine andere Freundin und zeitweilige Geliebte arbeitet für Google.

Doch selbst das Pooling aller Ressourcen von Google stellt sich als fruchtlos heraus. Der Code ist entweder nicht zu knacken oder inexistent. Dass es Jannon dann doch gelingt, ihn zu knacken, liegt daran, dass er als einziger zwischen den beiden Welten zu agieren versteht. Denn da ist die Welt der sog. ‚Digital Natives‘, die alles auf Bits und Bytes reduzieren zu können glaubt. Und da ist jene Geheimgesellschaft, vorwiegend aus älteren Herrschaften bestehend, die noch ganz klassisch in verborgenen Bibliotheken nach des Rätsels Lösung forscht. Mirabile dictu: Natürlich geht mit dem Knacken des Codes keine der beiden Welten (oder auch sonst eine Welt) unter. Nur das Umfeld um Clay Jannon wird etwas reorganisiert.

Gewisser Weise haben wir eine Version der Querelle des ancien et des modernes vor uns. Der Schlüssel zum Code ist nicht im Text zu finden, sondern in den Typen, den Lettern, die Aldus Manutius seinerzeit gegossen hat. So erweist sich eine Reise nach New York, in die Zentrale der Geheimgesellschaft, als ebenso sinnlos, wie der Versuch der Google-Mitarbeiter, den Code durch Pooling von Abertausenden Computern zu knacken. Dass es Clay gelingt, die Typen zu finden, verdankt er aber einerseits der modernen Informatik, in Form der Vernetzung der amerikanischen Museen, andererseits seiner Liebe zu Fantasy-Schinken, war doch der mittlerweile verstorbene Autor seiner Lieblings-Reihe ebenfalls einer von denen auf der Suche nach dem Schlüssel zum Code. Der Tote hat den Schlüssel zwar gefunden, die Hinweise darauf aber ein weiteres Mal verschlüsselt weitergegeben – in seiner eigenen Fantasy-Reihe, und selbst da nicht in der gedruckten Version, sondern nur in der Hörbuch-Ausgabe. Die hat der Autor nämlich selber besprochen, und Clay Jannon, der sie endlich gefunden hat, hört sie nun zum ersten Mal – auf altmodischen Kassetten!

Zentral fürs Verständnis dieses Romans ist wohl die Figur des Aldus Pius Manutius. Manutio ist real; er lebte von 1449 bis 1515 in Venedig. Er war ein äusserst innovativer Buchdrucker: Er gestaltete eigene Typen und ‚erfand‘ ein eigenes Format, die sog. Aldinen. Die entsprachen in etwa dem Oktav-Format, waren also kleiner und handlicher als die bisherigen Folio. Manutio druckte damit v.a. alte griechische Manuskripte, aber auch Texte von Pietro Bembo oder Petrarca. Im Grunde genommen wurden Humanismus und Renaissance erst durch Buchdrucker wie ihn ermöglicht.

Wenn Robin Sloan durch den Mund seines Ich-Erzählers Clay Jannon den Betrieb im alten Venedig Manutios mit dem des heutigen San Francisco vergleicht, so sehen wir, worauf er hinaus will. Zwar macht er sich über die Leute bei Google ziemlich lustig: pseudo-alternativ, dabei aber so karrieregeil wie irgendeiner. Schleichwerbung, die man ihm vorgeworfen hat, sieht anders aus. Zwar wird Penumbras Buchhandlung zum Schluss demontiert und durch eine Kletterhalle ersetzt. Dennoch ist dieses Buch ein kleines Plädoyer dafür, ob dem Alten das Neue nicht zu vernachlässigen, ob dem Neuen das Alte nicht zu verachten – so, wie es eben auch der technisch innovative Manutio gehalten hat, der die modernste Technik seiner Zeit zur Erhaltung des Alten eingesetzt hat.

Vielleicht muss man die Nerds, die IT-Branche, etwas kennen, und es hilft sicher auch, wenn man den ganz eigenen Menschenschlag, der die Bay Area rund um San Francisco bevölkert, etwas kennt. Sloan schreibt eine Satire, die sich über IT-Nerds ebenso lustig macht, wie über jene, die Bücher nur ganz altmodisch auf Papier verkaufen oder lesen wollen. (Penumbra wehrt sich zuerst gegen das e-book, läuft dann aber in New York plötzlich mit vier verschiedenen Readern herum – von jeder Marke einen…) Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra ist vielleicht nicht ganz grosse Literatur, aber für einen Platz in meiner Bibliothek reicht es allemal.

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