Heine gibt an, dass er diesen Essay auf Französisch geschrieben habe für sein französisches Publikum und ihn dann später ins Deutsche übersetzt. Das mag für Teile stimmen, stimmt aber sicher nicht fürs Ganze, sonst würden wir nicht solche Sätze finden wie den, in dem er sein französisches Publikum fragt, wie die Passionsblume auf Französisch heiße, denn er hätte es ja schon gewusst. Der heute unter dem Titel Die romantische Schule bekannte Text ist aber tatsächlich ein Konglomerat verschiedener an verschiedenen Orten publizierter Texte und wohl hauptsächlich als Polemik geschrieben worden, mit der Heine dem deutschen Publikum seine Stellung in der deutschen Literatur klar machen wollte.
Natürlich spielt auch die andere Begründung für diesen Text, die, die er dem französischen Publikum gibt, eine beachtliche Rolle für den Text. Er will nämlich, so sagt er, das Wissen des französischen Publikums auf den neuesten Stand bringen, ihm die Dinge nahe bringen, die sich in der deutschen Literatur ereignet haben, seit Mme de Staël Deutschland besucht und über ihren Besuch geschrieben habe. Da hat sich seither wirklich so einiges ereignet, und Heine geht völlig zu Recht davon aus, dass das wichtigste Ereignis der Tod Goethes im Jahr 1832 gewesen sei. Tatsächlich geht mit diesem Tod eine Epoche zu Ende, und wenn Heine zwar Immermann erwähnt, aber dessen Begriff des ‚Epigonen‘ nicht verwendet, so meint er doch genau das: Die deutsche Literatur ist nach dem Tod Goethes epigonal geworden.
Während Heine Lessing in den höchsten Tonen lobt, Schiller und Herder ebenso, Wieland zwar nur am Rand erwähnt, aber ebenfalls lobend, ist sein Verhältnis zu Goethe zwiegespalten. Zu lange wohl hat der alte Mann in Weimar der deutschen Literatur sein Zepter fühlen lassen, zu viel Schludrigkeit auch ließ er sich selber durch. Dennoch anerkennt und lobt Heine Goethes unbedingtes Sich-Fernhalten von der Romantik, der er (Heine) – um es nur wenig pauschaler zu formulieren als er es selber tut – einen fatalen Hang zum Katholizismus nachsagt, zur Geheimniskrämerei, zum Jesuitentum. Heine geht so weit, neben den Romantikern, die tatsächlich zum Katholizismus konvertiert haben (Friedrich Schlegel, Friedrich Stolberg, Zacharias Werner und andere) diese Konversion auch welchen anzudichten, die protestantisch blieben (am bekanntesten wohl Novalis – der zwar eine starke Neigung zum Katholizismus verspürte, aber in seinem kurzen Leben nicht zur Konversion kam). Jene, die von Haus aus bereits katholisch waren und diesen Glauben im Lauf der Jahre weiter ausgebaut haben (Motte Fouqué, Brentano) hat Heine ebenfalls auf seinem satirischen Kieker.
Mit anderen Worten: Für Heine kommt nach Goethe nichts Gescheites mehr nach. Das Junge Deutschland wird zwar erwähnt, besteht aber offenbar nur aus Görres (der ebenfalls zur katholischen Seite überging), Börne (mit dem Heine sich aus anderen Gründen zerstritten hatte) und ihm.
Sehr viel Polemik also in dieser Schrift, und dennoch: Nach wie vor lesenswert. Und wenn es nur aus dem einen Grund ist, dass Heine – mit Ausnahme von ein paar ganz jungen Süddeutschen (Mörike, Hauff) nicht nur die ganze Romantik so aufzählt, wie wir es noch heute tun. Auch seine Urteile über die einzelnen Autoren entsprechen immer noch denen, die heutige Literaturgeschichten (vor allem die kürzeren) abgeben. Er war zum Beispiel einer der ersten, wenn ich das recht sehe, der die Wendung des späten Tieck weg von der Romantik, hin zum Realismus, feststellte. Alleine wegen dieses Scharfsinns gehört Heine gelobt und Die romantische Schule gelesen.
Heines Urteile sind immer noch modern. Und, seien wir ehrlich, in ihrer Schärfe und satirischen Zuspitzung sind sie denen jeder herkömmlichen Literaturgeschichte bei weitem überlegen.
So alt wie Joe Biden sind Sie doch noch nicht. Offenbar kann man auch schon früher manchmal einen Blackout haben, ist ja nicht weiter schlimm. Immerhin, wie Arno Schmidt in der Biographie darlegt, hat Friedrich de la Motte Fouqué, als Nachfahre protestantischer Glaubensflüchtlinge so getauft, zwar zeitweise mit einer Konversion geliebäugelt, gänzlich ästhetizistisch motiviert, aber sie nie vollzogen. Übrigens habe ich inzwischen „Die vier Brüder von der Weserburg“ gelesen und lesenswert gefunden. Darin tritt ein aus Italien zurückgekehrter „Oheim Wolfgang“ auf, dessen Äußerungen über seine „mehr als billig verrückten Neffen“ wohl das Verhältnis des bewussten Olympiers zu den Romantikern zu reflektieren gedacht sind.
Sie dürfen beruhigt sein. Ich bin über meine alte Schwäche gestolpert, mich an Namen zu erinnern und nur Geschichten und Zusammenhänge zu behalten. So bin ich über das Konzept „preußischer Adel“ gedanklich falsch abgebogen und bei Fouqué gelandet statt bei Eichendorff.
Eichendorff, ein Beutepreuße aus Schlesien, der wohl lieber Österreicher gewesen wäre. Bei Heine kommt er gut weg, jedenfalls in der „Romantischen Schule“, als „vortrefflicher Dichter“, dessen Gedichten „grünere Waldesfrische und kristallhaftere Wahrheit“ als denen Uhlands bescheinigt wird.