Vincent F. Hendricks und Mads Vestergaard: Postfaktisch

Ein überraschend kluges und lesenswertes Buch zu diesem Thema, das eine wirklich durchdachte Analyse dessen bietet, was seit einigen Jahren als Fake News durch die Medien geistert. Zwar sind viele Beispiele aus dem Trump-Wahlkampf (und der anschließenden Regierungsperiode) entnommen, es werden aber die prinzipiellen Mechanismen solcher Kampagnen durchleuchtet.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Aufmerksamkeitsökonomie: Wir haben zwar die Möglichkeit, uns über so gut wie alles zu informieren, über Ereignisse, Fakten, Neuigkeiten und gespeichertes Wissen, aber damit ist das Problem verbunden, dass uns eine nur beschränkte Zeit zur Verfügung steht. Daher gibt es einen Wettkampf um die Aufmerksamkeit (von potentiellen Kunden, Wählern) und erfahrungsgemäß widmet der Mensch diese den spektakulären und außergewöhnlichen Vorkommnissen lieber als sich mit eher trivialen Fakten zufrieden zu geben. Um nun die Vorlieben des Bürgers auch wirklich zu treffen ist es von enormer Wichtigkeit, dessen Eigenheiten zu kennen, seine Interessen, Abneigungen usf. So weist Facebook in den Datenschutzrichtlinien darauf hin, dass „sämtliche Informationen, die wir über dich haben“, dazu benutzt werden, „um dir relevante Werbung anzuzeigen“. Werbung, die dann von ebensolcher Relevanz sein soll wie alle anderen Dienste von Facebook. Das heißt, dass der Nutzer ausgespäht und alle irgendwie verfügbaren Daten über ihn gesammelt werden: Denn er ist das Produkt, das Facebook tatsächlich anbietet – nämlich den Werbekunden.

Auf dieser Grundlage werden natürlich auch Nachrichten erstellt und es werden – wie im Falle Trumps – die Meldungen nicht nur von Journalisten, sondern auch von den Akteuren selbst generiert (wobei die Nachrichtendienste als Verstärker dienen). Auch wenn Trump lange Zeit noch nicht einmal von den rechten Sendern (wie FOX) unterstützt wurde, so waren denn doch alle glücklich über die Tatsache Trump, über die steigenden Zuschauerzahlen, die sprudelnden Werbeeinnahmen. Bei all dem blieben journalistische Ideale (wie Wahrheit, Aufklärungsfunktion und Unparteilichkeit) auf der Strecke, wichtig war der Unterhaltungswert und damit verbunden die hohen Einschaltquoten. Die politischen Parteien haben diese Mechanismen durchschaut (und tatsächlich hat es Ähnliches schon viel früher gegeben, selbst Fake News wurden schon vor über 200 Jahren – von Lincoln – gezielt verbreitet) und sie für eine „Signal- und Symbolpolitik“ verwendet: Die Sache an sich (bzw. die Wirklichkeit) bleibt im Hintergrund, während durch lautstarke Ankündigungen zum einen der Eindruck erweckt wird, als würde gehandelt, zum anderen Schwerpunktthemen gesetzt werden (die tatsächlich nur von geringer Bedeutung sind, aber als wichtig markiert werden).

Während man bislang bei allen diesen Manövern immer darauf achten musste, mit der Wahrheit nicht in Konflikt zu geraten bzw. keiner Lüge überführt zu werden, hat sich in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten die Strategie geändert: Man erzeugt Wirklichkeiten, über die die anderen berichten. Karl Rowe, ein Berater von George Bush Jr., hat das folgendermaßen gegenüber einem Journalisten ausgedrückt: „Während du noch dabei bist, die Wirklichkeit zu untersuchen – wohlüberlegt wie immer -, handeln wir schon wieder und erzeugen neue Wirklichkeiten, die du dann auch wieder untersuchen kannst. So wird es weitergehen. Wir sind die Akteure der Geschichte … und ihr alle zusammen müsst euch damit begnügen zu untersuchen, was wir tun.“ Realität oder Wahrheitsbegriff sind hierbei längst nicht mehr von Belang, man kann – wie Sean Spicer sagte – manchmal auch mit den Fakten uneins sein (was natürlich Unsinn ist: Fakt ist Fakt, aber man kann die Tatsachen ignorieren) und man kann auch auf die entsprechende Anhängerschaft zählen, die Lügen aus einer Loyalität heraus akzeptiert: Weil sie gegen den anderen, den Feind gerichtet sind – und in diesem Kampf sind alle Mittel gerechtfertigt. Um ein solches Klima zu erzeugen, muss zuvor noch ein Wir-Gefühl unter den Anhängern entstehen: Wir gegen diese anderen, gegen alle anderen, die mit unlauteren Mitteln unsere gerechte Sache zu verhindern trachten und die uns nur deshalb der Lüge bezichtigen, wobei die meisten Medien die Handlanger dieser anderen sind. Ideal dafür ist eine Stimmungslage, in der alles zu Lug und Trug erklärt wird: „Wenn sowieso alles Lüge ist, ist der eine Lügner nicht schlimmer als der andere – besser also mein Lügner als deiner …“ Wo nichts mehr wahr ist, kann es auch keine Lüge geben.

Dies ist – wie ich auf diesen Seiten schon mehrfach erwähnt habe – die Wirklichkeit gewordene Philosophie der Wahrheitsrelativität, die Wissenschaft als eine von vielen möglichen Welterklärungen, als einen Mythos unter anderen betrachtet. (In realiter glauben die Vertreter dieser Philosophie genauso wenig an ihre eigenen Worte wie etwa die radikalen Skeptizisten, die auch nie aus dem 10 Stock springen, weil man nicht genau weiß, ob dieser Weg nicht schneller und besser sei. So ließ sich der Dalai Lama lieber in einem Krankenhaus mit Antibiotika behandeln (und nicht mit den den Anhängern empfohlenen, in Tabletten gepressten Urin seiner selbst) und Paul Feyerabend vertraute sich nach der Krebsdiagnose auch keinem afrikanischen Medizinmann an, sondern ging in eine Klinik, die sich an wissenschaftlichen Kritierien orientierte und technisch auf dem letzten Stand war.) Philosophisch sind diese Dinge wertlos (wie absoluter Skeptizismus oder Solipsismus), ihre Berechtigung als Denkfiguren will ich nicht bestreiten. Wenn sie aber politisch instrumentalisiert werden, wird die Dummheit dieser Haltungen nicht nur sichtbar, sondern auch gefährlich. Der Glaube an „gefühlte“ Wahrheiten, ein suggerierter Kampf von Gut (wir) und Böse (die anderen), ein starkes Zugehörigkeitsgefühl können schließlich zu einer Leugnung der Realität führen (manche Trumpanhänger sahen auf den Fotos von der Amtseinführungen tatsächlich mehr Menschen bei Trump als bei Obama, sie sahen auch die Sonne scheinen bzw. berichteten davon, dass die Sonne geschienen habe, auch wenn die Wetterberichte das Gegenteil erzählten, sie waren nicht nur „uneins“ mit den Fakten, sie hatten eigene Fakten erzeugt). In einem allgemeinen Klima von Zweifel und Lügen zählt die Wirklichkeit nicht mehr und die Tatsache, dass wir über Aussagen keine Gewissheit erlangen können, wird dazu verwendet, die unsinnigsten Behauptungen als nicht weniger wahr zu bezeichnen als gut abgesicherte Erkenntnisse. Die Erde ist eine Scheibe. „Hast du etwa selbst gesehen, dass die Erde rund ist? Nein, oder? Wie kannst es im Grunde dann wissen? Die NASA hat Fotos von der runden Erde? Haben die nicht auch schon die Mondlandung gefakt?“ Alles manipuliert und eine große Verschwörung – wie etwa die Lüge von der Klimaerwärmung und das daraus folgende Klimaabkommen von Paris, dass – nach Trump – nur deshalb geschlossen wurde, um den USA zu schaden.

Dabei wird nicht einer technokratischen Regierung das Wort geredet, die sich einzig an Fakten orientiert: Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass manche EU-Bestimmungen genau einen solchen Eindruck hinterlassen. Denn normative Fragen, Fragen, wie eine Gesellschaft eingerichtet sein sollte, wie wir uns ein gerechtes Zusammenleben vorstellen, sind keine Fragen, die aufgrund von Fakten beantwortet werden können. Aber auf dem Weg zu einer bestimmten Gesellschaft müssen Fakten berücksichtigt – und sie müssen nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilt werden. Während eine postfaktische Demokratie die Tatsachen durch Gefühle ersetzt, wo nur noch als wirklich gilt, was einer bestimmten Gruppe nutzt, vergisst die Technokratie auf den einzelnen, fühlenden, leidenden Menschen. Wir bewegen uns zwischen diesen beiden Polen – und eine Fokussierung auf einen der beiden setzt eine Gegenbewegung zur anderen Seite hin in Gang. Wobei die Gefahr des postfaktischen Zeitalters darin besteht, dass es dann möglicherweise kein zurück mehr gibt, weil dadurch auch die Demokratie als solche abgeschafft würde. So gesehen ist die Technokratie das geringere Übel – wenn sie eben nicht in weiten Teilen das Gefühl auslösen würde, dass man zur großen Gruppe der Benachteiligten gehöre. Die dann laut und deutlich wir sagen und stets jemanden finden, der sie darin unterstützt. Wer hört nicht gerne, dass ihm Unrecht geschieht.


Vincent F. Hendricks und Mads Vestergaard: Postfaktisch. Die neue Wirklichkeit in Zeiten von Bullshit, Fake News und Verschwörungstheorien. München: Blessing 2018.

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