Ohne Dunsany kein Lovecraft und ohne Pegāna kein Cthulhu. Darin sind sich alle Geschichtsschreibungen der phantastischen Literatur einig – Lovecraft inklusive. Das stimmt natürlich, tut aber, wenn wir das so stehen lassen, dem Können und dem literarischen Gewicht von Edward John Moreton Drax Plunkett, 18th Baron Dunsany Unrecht, weil es ihn zu einem Vorläufer abstempelt, dessen Werk in Lovecraft erst die literarische Erfüllung gefunden hat. Bereits mit einem Blick auf den Kalender wird diese Aussage problematisch: Dunsanys literarische Karriere begann rund 10 Jahre vor der Lovecrafts und sollte nach Lovecrafts Tod noch weitere 20 Jahre andauern. So betrachtet ist Lovecraft eher das Hühnerauge auf dem großen Zeh ‚Dunsany‘: Man schenkt ihm mehr Beachtung als dem Ort, aus dem er heraus gewachsen ist. Aber letzten Endes ist der Zeh dennoch wichtiger. Anders gesagt: Thematisch wie stilistisch ist die Bandbreite von Dunsanys Werk bedeutend größer, sein Werk literarisch gesehen mindestens so gut, wenn nicht besser, als dasjenige Lovecrafts.
Die Geschichten der Götter von Pegāna erschienen zum ersten Mal 1905. Bis heute gibt es keine vollständige Übersetzung ins Deutsche. Beim 1984 erschienenen Heyne-Taschenbuch mit dem Titel Die Götter von Pegana handelt es sich eindeutig um eine Anthologie, in der auch andere Kurzgeschichten anderer Autoren (und Autorinnen? – ich habe nur ein Bild des Covers gesehen) eingefügt wurden, was sich daran zeigt, dass Lord Dunsany auf dem Cover nicht als Autor erwähnt wird sondern nur zwei deutsche Herausgeber existieren. Auch handelt es sich beim Inhalt gemäß DNB um Übersetzungen aus dem Amerikan. u. Engl.; vermutlich ist auch ein bisschen Lovecraft in jenem Büchlein.

Womit wir zu den eigentlichen The Gods of Pegāna kommen. Lord Dunsany war bei dessen Veröffentlichung als Autor noch ein unbeschriebenes Blatt, weshalb er die Druckkosten selber trug. Er ließ sich allerdings nicht lumpen und kommissionierte gleich noch Illustrationen beim bekannten Maler Sidney Sime. (Insbesondere das auf dem Deckblatt verwendete Bild von Skarl the Drummer sieht man von Zeit zu Zeit durchs Internet flattern.) Die Kritik empfand das Buch als zwar seltsam, aber es erzielte doch genügend gute Reviews, dass Lord Dunsany nicht mehr für seine Veröffentlichungen selber zahlen musste.
The Gods of Pegāna schildert die Entstehung einer Welt. Zu Beginn existiert nur ein Gott: Māna-Yood-Susha̅i̅ (von Lord Dunsany im Gegensatz zu den Namen der anderen Götter immer mit Kapitälchen geschrieben; aber nach all den Jahren seiner Existenz kann das Internet das noch immer nicht ohne Probleme darstellen …). Māna-Yood-Susha̅i̅ erschafft die anderen Götter und schläft dann ein. Sein Schlaf wird mit Trommelwirbeln begleitet von Skarl the Drummer, Skarl dem Trommler. Er trommelt und trommelt und trommelt. Und trommelt. So lange er trommelt, wird Māna-Yood-Susha̅i̅ nicht erwachen. Sobald Skarls Arme müde werden und er mit Trommeln aufhört, Māna-Yood-Susha̅i̅ also erwacht, ist es mit den von ihm gebildeten Göttern zu Ende. Das ist zugleich das Ende der von diesen Göttern erschaffenen Welt.
Denn das ist die Geschichte, die erzählt wird: die Schöpfung einer neuen Welt. Dunsany soll einmal gesagt haben, er habe als erster Dichter die Schöpfung von Sonne und Mond berichtet. Eine Kosmogonie, die zugleich das biblische Buch Genesis imitiert und parodiert, sich dann aber zu einer mythologischen Kosmologie ausweitet. Denn nach der Schöpfung werden die Taten einzelner Götter erzählt. Das recht dünne Buch besteht aus vielen kurzen Geschichten – was damals wohl die Herausgeber des Heyne-Taschenbuchs dazu verführte, einige heraus zu nehmen und separat zu stellen, und was sich bis heute in Wikipedia spiegelt, wenn Lord Dunsany als Autor vorwiegend von Kurzgeschichten hingestellt wird. Ich habe mir für The Gods of Pegāna die Frage auch einen Moment lang gestellt: Kurzgeschichten-Sammlung oder Roman? Aber auch wenn die einzelnen Geschichten des Buchs oft ohne einen direkten Zusammenhang mit den anderen da zu stehen scheinen: Dunsany hat diese Erzählungen für das Buch chronologisch orchestriert – von der Schöpfung der Welt bis hin zum letzten Kapitel, The Bird of Doom and the End [„Der Vogel des Untergangs und das Ende“]. Es handelt sich also tatsächlich um einen Roman (wenn auch einen fürs Jahr 1905 sehr originell konstruierten), aus dem einzelne Geschichten herauszubrechen im Grunde genommen ein Sakrileg darstellt.
S. T. Joshi, der große Kenner nicht nur Lovecrafts sondern auch Dunsanys, weist in einem Essay einmal darauf hin, dass Dunsany zur Zeit der Abfassung von The Gods of Pegāna sehr viel Nietzsche gelesen habe. Ich denke, man kann tatsächlich einen Einfluss sehen, weniger vielleicht beim Aufbau der eigentlichen Welt (obwohl der Grundgedanke eines Weltenbaus wohl auch bei Nietzsche zu finden ist) als vielmehr im Stil, der Sprache. Neben Nietzsche ist natürlich die Sprache des Buches Genesis zu finden, aber auch die einiger Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht – nicht zu vergessen der andere große irische Autor des frühen 20. Jahrhunderts, William Butler Yeats. Sprachlich wie inhaltlich sind die in The Gods of Pegāna ein Genuss und sollten einmal von wirklich guten Übersetzenden vollständig ins Deutsche übertragen werden.
Ich kann keine deutsche Version angeben, weil es keine gibt. Auf Englisch sind The Gods of Pegāna in verschiedenen Ausgaben im Buchhandel erhältlich.