Stanisław Lem: Die Jagd

Weltraumpilot Pirx ist – anders als es sein für unsere Ohren seltsam klingender Name vermuten ließe – keineswegs eine komische Figur. Im Gegensatz zu seinem literarischen Bruder Ijon Tichy, der das Sinnbild eines kosmischen Münchhausen darstellt, finden wir bei Pirx – mit einer Ausnahme – kaum Komisches, kaum Übertreibungen irgendwelcher Art. Man könnte sagen, dass Pirx die Verkörperung des gesunden Menschenverstandes ist, der eine kritische, aber keineswegs destruktive Einstellung den Tatsachen gegenüber aufweist, wie er sie antrifft und nicht wie er sie gerne hätte. Letzten Endes, so könnte man Pirx‘ Weltanschauung zusammenfassen, haben die Logik und die Wissenschaft immer Recht – nur, dass ‚die Logik‘ und ‚die Wissenschaft‘ nicht 1:1 von mechanisch-mathematischen Prozessen auf menschliche übertragen werden sollten.

Die oben erwähnte Ausnahme, in der Pirx seinem Bruder Tichy gleicht wie ein Ei dem anderen, ist die Geschichte Pirx erzählt, die sich auch dadurch von den anderen Kurzgeschichten um Pirx unterscheidet, dass dieser für einmal als Ich-Erzähler fungiert. Der Ich-Erzähler ist gerade dafür angestellt worden, mit einem Raumschiff den Weltraumschrott um die Erde einzusammeln und in eine Recycling-Station zu bringen. Auf dem Weg trifft er auf ein Schiff von Außerirdischen. Es gelingt ihm nicht, Kontakt mit den Aliens aufzunehmen, aber es gelingt ihm, den Kurs des Schiffes zu berechnen und aufzuzeichnen. Denkt er. Denn, wie er die Aufzeichnungen hervorholen und zur Erde funken will, stellt sich heraus, dass seine völlig unzurechnungsfähige und unbrauchbare Crew vergessen hat, das Speicherband auszuwechseln.

Selbst in dieser Geschichte aber finden wir etwas vom ansonsten durch alle anderen Kurzgeschichten durchgehenden Thema wieder: Die Unzulänglichkeit des Menschen im Verhältnis zur Perfektion der Maschinen. Jedenfalls präsentiert sich die Situation zwischen Mensch und Computer bzw. Roboter für den Außenstehenden prima vista so. Pirx, der Skeptiker, aber sieht tiefer. Er sieht, dass die Rechner und die Roboter nur allzu menschlich sind, weil sie letzten Endes von Menschen programmiert und getestet wurden. Was nun macht, dass die Lesenden Pirx nicht als Übermenschen sehen, ist der Umstand, dass dieser seine Einsichten immer erst in letzter Minute, ja oft sogar erst im Nachhinein hat. So wird er in Die Verhandlung zugeben, dass er zwar (im Nachhinein!) die Handlungen und Reaktionen des Roboters an Bord nachvollziehen kann, weil sie absolut logisch sind – seine eigenen Handlungen und Reaktionen aber weiß er auch Monate nach dem Unfall nicht einzuschätzen oder zu erklären. Genau dadurch erweist sich allerdings in Lems Geschichten letzten Endes der Mensch als dem Roboter immer noch überlegen – moralisch wie technisch.

Die Verhandlung ist, zusammen mit Ananke, die längste und die beste Geschichte dieser Kurzgeschichten-Sammlung. Während in Die Verhandlung der Mensch (i.e. Pirx) im letzten Moment den Roboter, der es auf die Tötung aller an Bord befindlichen Menschen abgesehen hatte, die er als eine Art untergeordneter, weil unvollkommener Lebewesen angesehen hatte – während also Pirx in dieser Geschichte im letzten Moment und ohne zu wissen, wie und warum, eine Katastrophe verhindert, ist es in Ananke so, dass er die Ursache der bereits eingetretenen Katastrophe zu finden im Stande ist. Auch hier ‚arbeitet‘ Detektiv Pirx – anders als Sherlock Holmes es empfiehlt – rein intuitiv. Nach der Katastrophe eines Schiffsabsturzes auf dem Planeten Mars und nach einer Sitzung mit den Wissenschaftlern und Politikern, die die Ursache des Absturzes eruieren wollen, geht Pirx frustriert in das Zimmer, das ihm von einem Mars-Bewohner zur Verfügung gestellt wurde. Darin findet sich eine große Bibliothek, unter anderem mit echten(!) Büchern über die Erforschung des Planeten Mars, von den Anfängen bei Johannes Kepler, Tycho Brahe oder Herschel – mit Schwergewicht auf den Kanalisten, wie Pirx sie in Gedanken nennt, jenen also, die mit dem Fernrohr auf der Marsoberfläche Kanäle gesehen zu haben glaubten, Schiaparelli an der Spitze. Über verschiedene Assoziationen und dank des Umstands, dass sein Gastgeber auch ein dickes, mehrbändiges Lexikon auf den Mars geschleppt hat, gelingt es Pirx die Ursache des Computerversagens, das zum Absturz geführt hatte, zu eruieren. Der Mann, der die letzten Prüfungen mit dem Bordcomputer durchführte, litt an einem anankastischen Syndrom (was wir heute wohl Zwangsstörung nennen würden). Er verführte bei den abschließenden Sicherheitstests den Computer dazu, immer und immer mehr Informationen anzufordern, um immer mehr und mehr Sicherheit zu haben – was zuletzt dessen Informationskanäle derart verstopfte, dass der Automat sich nicht mehr zu helfen wusste und bei einem improvisierten Notstart das Raumschiff auf der Mars zerschellen ließ. Lem ist also durchaus nicht der Meinung, dass der Mensch dem Automaten prinzipiell überlegen ist. Die Interaktionen zwischen dem Menschen und seiner Schöpfung sind in diesen Geschichten so subtil, dass es sich nicht mehr sagen lässt, wer denn nun ‚besser‘ sei.

Spannende Geschichten, dank einem unprätentiösen ‚Held‘ auch für Erwachsene lesbar, die nicht mehr an eine Schwarz-Weiß-Verteilung von Gut und Böse glauben. Empfehlenswert auch für welche, die sich in Lems Universum erst einlesen wollen.

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