Ich mag Briefwechsel. Besonders, wenn die Briefpartner sich auch etwas zu sagen haben. Johann Heinrich Merck (1741-1791) ist einer, der etwas zu sagen hat. Deshalb ist es sehr verdienstvoll von der Technischen Universität Darmstadt, der Herausgeberin Ulrike Leuschner und dem Wallstein-Verlag, im Jahre 2007 eine fünfbändige Gesamtausgabe von Mercks Briefwechsel geliefert zu haben, auf die ich leider erst jetzt gestossen bin. Tatsächlich finde ich diesen Briefwechsel so interessant, dass ich die Bände auch schon mal einzeln vorstellen möchte.
Merck war einer jener Busy-Bodies, die im Kaffeesatz der deutschen Literatur herumwuseln: Hier ein bisschen an Goethe herumerziehend, Herder zu seiner Karoline verhelfend, Wielands Teutschen Merkur zu Geltung bringend. Der Briefwechsel ist, wie sich das gehört, chronologisch geordnet – 4 Bände und ein Anhangsband.
Band 1 also umfasst die ersten 250 von insgesamt 1’006 Briefen von und an Merck, die erhalten sind. Ohne die Tücken der Überlieferung müsste es wohl das Doppelte sein. Viele Briefe sind verloren gegangen in einem der mannigfaltigen Kriege, die während und nach der Goethe-Zeit Europa überzogen haben, einige mögen versteckt in Privatbesitz schmoren, von anderen weiss man, dass sie der Empfänger vernichtet hat. Goethes grossem Auto-da-fè von 1797 sind nicht nur die Briefe aller seiner früheren Geliebten zum Opfer gefallen, sondern auch die von Merck. Herder hat, nachdem es Leuchsenring gelungen war, die beiden Freunde für immer auseinander zu bringen, praktisch alle von Merck erhaltenen Briefe vernichtet.
Der Briefwechsel könnte für eine Literaturgeschichte Modell stehen: Der erste erhaltene und somit abgedruckte Brief wurde am 6. April 1764 geschrieben, an Christian Ludwig von Hagedorn, den jüngeren Bruder des Dichters Friedrich. Denn noch regierte das Rokoko die deutsche Literatur. Die sie später ablösenden Empfindsamkeit sollte Merck bereits in ihrem Zentrum finden. Mit der Empfindsamkeit taucht Herder auf, dann folgen Wieland und Goethe, während der Komet Herder ebenso wie die Empfindsamkeit wieder erlöscht.
Doch zuvor finden wir etliche Briefe von Mercks Verlobter und nachmaliger Gattin, Louise Charbonnier. Merck war – wie damals üblich – als Begleiter eines Adligen auf dessen Kavalierstour durch Europa unterwegs und hatte in Morges, im Kanton Waadt, die Tochter eines dasigen Juristen und Weinbauern kennen und auch lieben gelernt. So sehr lieben, dass die junge Frau nach seiner Abreise mit Schrecken feststellen musste, dass sie von ihm schwanger ging. Wie sag ich’s meinen Eltern? – Nun, das Ganze ging glimpflich aus; die Eltern Charbonnier akzeptierten den jungen Merck als Schwiegersohn, und bald finden wir auch Briefe von und an seine nunmehrigen Schwiegereltern in Mercks Korrespondenz.
Mittlerweile verheiratet und zurück in Darmstadt, schildert Merck in diesen Briefen, wie sich seine Hoffnungen auf Karriere in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt zerschlagen. Er erhält bloss eine relativ subalterne Stellung im Kriegsministerium, von wo er dann auch – nach nur einer mickrigen Beförderung – nie wegkommen wird, obwohl er die daselbstigen Fürstentöchter im Französischen unterrichtete.
Der nächste Korresponent von Belang, der auftaucht, ist Johann Gottfried Herder. Mit Brief 52 von 28. August 1770, knüpft dieser an die soeben erfolgte persönliche Bekanntschaft an. Merck wird dann Zeuge der aufkeimenden Liebe zwischen Herder und Karoline Flachsmann, die einem Kreis von Empfindsamen angehört, der sich regelmässig in Mercks Haus in Darmstadt trifft. Merck übernimmt es, die jeweiligen Briefe weiterzuleiten, da Karolines Familie vorläufig nichts wissen darf. Herder allerdings zögert es unendlich hinaus, bei der Familie um Karolines Hand anzuhalten, und dies, obwohl ihm Merck deswegen offenbar ziemlich heftige Vorwürfe gemacht hatte. Mag sein, dass hier das erste Würzelchen für das spätere endgültige Zerwürfnis gründet, denn Herder war nicht der Mann, sich von irgend jemand so etwas gefallen zu lassen. Jedenfalls platzt Karoline dann ohne Vorwissen Herders bei der Familie mit dem Verlöbnis heraus. Sie beichtet es Herder. Mercks Brief, in dem er die junge Frau aufrichtet, die verzweifelt auf eine positive Antwort Herders wartet, gehört zum Schönsten, das man sich vorstellen kann. Dieser Brief ist einer der wenigen dieser Korrespondenz, die sich in einer Abschrift Mercks erhalten haben.
Auf Herder folgt Anfangs der 1770er Jahre Sophie La Roche. Die frühere Verlobte Wielands war bereits als Autorin (Geschichte des Fräuleins von Sternheim) berühmt. Mercks Bekanntheit im literarischen Leben steigt. Die Brüder Jacobi und nun auch Wieland korrespondieren mit ihm. Als letzten finden wir Goethe in der Reihe von Mercks Briefpartnern, was wohl eher der Unzuverlässigkeit der Überlieferung zu danken ist.
Merck steigt in der Zeit bis Oktober 1777, die der erste Band des Briefwechsels umfasst, zu einem geachteten Kritiker auf, der in verschiedenen literarischen Zeitschriften der Epoche, vor allem denen der Brüder Jacobi (Iris) und dann Wielands Teutschem Merkur publiziert. Aber auch mit Nicolai (Allgemeine Deutsche Bibliothek) stand er in Kontakt. Dafür waren vor allem seine Kenntnisse in der Malerei und im Kupferstichwesen verantwortlich. Er galt als Fachmann und wurde in der zweiten Hälfte der 1770er Jahre sogar so etwas wie der Agent des Weimarischen Hofs, der für Goethe und den Herzog Kupferstiche und Malereien kaufte, da er sie günstig zu verschaffen wusste und über Verbindungen in die Niederlande und nach Paris verfügte. Selbst den lokalen hessischen Wein vermittelte er nach Weimar.
Lavater, Goethes Schwager Schlosser … die Namen aller Korrespondenten können bereits am Ende des ersten Bandes höchstens noch aufgezählt werden. Dazwischen immer wieder Familienbriefe – Mercks Familie wuchs in stetigem Rhythmus. Mercks Privatleben verlief dabei keineswegs ungetrübt. Als er 1772 die Hessen-Darmstädtischen Prinzessinnen auf deren Reise nach Moskau begleitete, wo eine von ihnen für die Heirat mit dem Thronfolger Paul ausgewählt werden sollte, waren Frau und Kinder bei den (Gross-)Eltern in Morges untergebracht – was Louise nicht daran hinderte, dort von einem andern schwanger zu werden. Merck hat ihr offenbar verziehen; aber sein Leben in Darmstadt, in der dortigen engstirnigen Gesellschaft, war auf längere Zeit ein sehr bitteres. Man hört ihn selten klagen; eher, dass ihn seine Freunde schon im voraus trösten.
Im übrigen ist es nicht so, dass Merck seine literatur- oder kunsttheoretischen Ansichten in seinen Briefen ausbreiten würde. Dazu war er ein zu guter Ökonom. Dies war seinen Kritiken vorbehalten, die er bezahlt und veröffentlicht sehen wollte und die er allenfalls brieflich rechtfertigt und verteidigt. Merck konnte das Geld sehr wohl brauchen, zumal auch sein Schwiegervater seinen finanziellen Verpflichtungen betreffend Mitgift nicht wie vereinbart nachkommen konnte. Der Schwiegervater war in finanziellen Dingen wohl ähnlich blauäugig wie sein Schwiegersohn. Der nämlich überlegt sich zu dieser Zeit ernsthaft, Wein- und/oder Kunstmakler zu werden – eines der vielen Projekte, die er nicht ausführt.
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