Zu Machs „Antimetaphysischen Vorbemerkungen“

Mach beschreibt eine Welt der Empfindungen: Eine Welt, in der sich bestimmte Komplexe als beständiger erweisen denn andere (und daher mit einem Namen bezeichnet werden). Allerdings sind solche Namen Hilfskonstruktionen für eine vermutete (und auch in dieser Form praktikable) Welt: Diese Körper (und zumeist wird es sich bei den benannten Komplexen um Körper handeln) sind keineswegs absolut beständig und im Grunde auch im Sinne der Ausdehnung nicht klar begrenzt.

Solche Komplexe unterliegen mannigfaltigen Änderungen (Abnutzungen), Teile können ersetzt werden, anderes fehlt gänzlich, doch zumeist bleibt eine Art Kern erhalten, der noch immer genug enthält, um dem Komplex den Namen zu geben und zu erhalten. Allerdings darf unter diesem Kern nichts Metaphysisches verstanden werden, es ist bloß ein Übergewicht des noch Vorhandenen über die fehlenden bzw. ersetzten Teile. Wann genau der Komplex seines Namens verlustig geht, hängt von Zufällen, der Beurteilung, von Konventionen ab. Werden alle Teile entfernt, bleibt vom Komplex nichts übrig. *)

Mach teilt die Komplexe in drei Bereiche: Alle Dinge, den eigenen Körper und den Komplex an Erinnerungen, Gefühlen, Stimmungen etc., der zumeist als Ich bezeichnet wird (oft in Gemeinsamkeit mit dem eigenen Körper). Allerdings fehlt es auch diesem Ich an Beständigkeit (wie allen anderen Dingen): Verlust von Erinnerungen, Änderungen der Meinung, des Gefühlbereichs, sodass Mach mit Recht von seinem vergangenen, jugendlichen Ich behaupten kann, dass es ihm einigermaßen fremd sei. Der Tod, die endgültige Vernichtung der Beständigkeit, findet ein ganzes Leben lang statt, wobei Wertvolles, Wichtiges oft darüber hinaus (in Büchern, Publikationen) erhalten bleibt, anderes hingegen stirbt für immer (und vieles davon muss nicht unbedingt betrauert werden: Derlei Züge hat jeder).

Mach bezeichnet nun die allgemeinen Körper mit A B C, den Komplex, der sich unser Körper nennt, mit K L M und den Komplex von Wille, Erinnerung, Gefühle mit x y z (eigentlich griechischen Kleinbuchstaben, die aber hier nicht praktikabel sind). Gewöhnlich wird A B C dem Komplex K L M und x y z gegenübergestellt, es scheinen diese Bereiche unabhängig voneinander zu sein. Allerdings trügt dieser Schein: x y z ist ganz offensichtlich von K L M abhängig (und umgekehrt), Änderungen im körperlichen Befinden wirken auf den Geist zurück, dann aber ist es auch so, dass A B C einen ebensolchen Einfluss auf K L M und x y z hat. Man sieht etwas, reagiert, x y z setzt K L M in Bewegung (flieht, nähert sich, wirkt auf A B C ein), die Welten zeigen sich in ständiger Interaktion. Wo kann eine Grenze gezogen werden? Im Grunde genommen nirgends, auch wenn erstmals Änderungen von x y z auf K L M zurückwirken werden und viele Teile von A B C nicht betroffen sind. Dennoch kann weder von einem klar abgegrenzten Ding A B C gesprochen werden, weil alle Grenzziehungen willkürlich, zumeist pragmatisch erfolgen (und evolutionär sinnvoll sein müssen), noch von einem unabhängigen Komplex x y z (oder x y z und K L M), da auch hier aufgrund der Wirkungen eine Grenze ebenso willkürlich wäre. So sitzen wir wie in einem riesigen Netz (bzw. sind Teil desselben), unsere Aktionen haben auf die nähere Umgebung stärkere Auswirkungen, auf weit entfernte kaum.

A B C wird im übrigen durch K L M mitbestimmt. Wir sehen weit entfernte Dinge anders, manchmal doppelt, bei geschlossenem Auge gar nicht, mit einer rotgefärbten Sonnenbrille in Rottönen. Wer nun wollte (in Kenntnis dessen, dass der „sichtbare“ Bereich der elektromagnetischen Wellen eine zufällige evolutionäre Auswahl ist) von einer „wirlichen“ Außenwelt sprechen, wer könnte sagen, wie sie „wirklich“ aussieht? Wäre unser Auge anders gebaut, würden wir andere elektromagnetische Wellen als sichtbar wahrnehmen, so schiene sich diese Wirklichkeit zu ändern. Häufig stellt man eine anthropozentrische Wirklichkeit einer Scheinwirklichkeit gegenüber. Der Bleistift etwa „scheint“ im Wasser geknickt, in Wirklichkeit gerade. Was aber berechtigt uns zu so einem Urteil? Warum ziehen wir eine Tatsache der anderen vor? Präzise müsste man festhalten, dass der Bleistift optisch geknickt ist, haptisch und metrisch hingegen gerade. Mit vielen anderen optischen (akustischen) „Täuschungen“ verhält es sich ähnlich; wir haben pragmatische, praktische Gründe, die eine Tatsache der anderen vorzuziehen, in wissenschaftlicher Hinsicht hat derlei keinen Sinn. Aus dieser Schein-Wirklichkeit-Konzeption ergeben sich schließlich philosophische Entwürfe wie bei Platos Höhlengleichnis, wodurch uns die eigentliche Welt der Empfindung verloren ging.

A B C hängt also offenkundig mit K L M zusammen, wobei A B C auf K L M als Empfindung wirkt, es besteht eine Verbindung, Beziehung, eine funktionale Abhängigkeit. Nur diese Abhängigkeit wird als Empfindung bezeichnet, ansonsten sind A B C Komplexe von physischen Objekten. Farben, Töne, Drücke, Räume, Zeiten werden von uns als Empfindungen bezeichnet und den Masseteilchen (die üblicherweise als physikalische Objekte gelten) gegenübergestellt. Aber auch dies ist Willkür, denn auch Farben oder Töne sind physikalische Objekte.

Allen Abgrenzungen widerfährt das Gleiche: Sowohl A B C als auch K L M und x y z sind denkökonomische Einheiten, die sich in praktischer Hinsicht bewähren, die aber völlig aufzulösen in wissenschaftlicher Hinsicht nützlich sein kann. Das Ich, das üblicherweise als das Primäre angesehen wird, existiert nur in den Empfindungen, diese Empfindungen bilden das Ich. Sehe ich etwas Rotes, so bedeutet das, dass in einem bestimmten Komplex etwas Rotes vorkommt (oder ich mich an Rotes erinnere). Wenn wir sterben, wird dieser Zusammenhang aufgelöst.

Wir existieren also nur aus Empfindungen, diese konstituieren das Ich und dieses Ich unterliegt daher einer ständigen Änderung (und ist somit – unrettbar). Das Beständige ist Schimäre. Nur in einer Hinsicht sind wir auf Analogieschlüsse angewiesen: In Hinscht auf die Elementkomplexe x‘ y‘ z‘, x“ y“ z“. Diese bleiben uns absolut verborgen, wir erfahren über Empfindungen einzig den Komplex K‘ L‘ M‘ oder K“ L“ M“. Für alles weitere sind wir darauf angewiesen, von unserem x y z auf das x‘ y‘ z‘ anderer K‘ L‘ M’s zu schließen.

Es geht also für die wissenschaftliche Arbeit darum, die verschiedenen Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Komplexe zu durchschauen. Die funktionalen Beziehungen bleiben dieselben, egal ob sie als Empfindung oder aber physikalisches Objekt betrachtet werden. Auch verliert die Philosophie des Hausverstandes nicht an Wert, da sie sich in praktischer Hinsicht immer wieder bewährt. Für die Wissenschaft hingegen müssen die Wandelbarkeit der Komplexe und die permanente Interaktion zwischen den Komplexen A B C, K L M und x y z berücksichtigt werden, um idealistischen Fallstricken auszuweichen. (Schlicks Kritik an Huserls Wahrheitsbegriff schlägt in eine ähnliche Kerbe: Wahr sein können immer nur Urteile, Urteile sind immer psychische Akte. Deshalb kann es keine Wahrheit ohne Psyche geben: Würde man von einem Urteil alles Psychische eliminieren, bliebe die nackte Tatsache zurück, von der Wahrheit oder Falschheit nicht ausgesagt werden kann. Ein Baum ist weder wahr noch falsch. Somit kann es also auch keine immerwährende, ewige Idee des Wahren geben, die dann von einer Psyche aufgefunden wird. Ein ähnlicher Streit wurde (wird?) in der Mathematik zwischen Intuitionismus und Platonismus ausgefochten, wobei hier durch den fehlenden Wirklichkeitsbezug die Sachlage eine geänderte ist.)

*) Hier kritisiert Mach Kants Ding an sich – m. E. zu Unrecht. Kant spricht zwar von etwas Unerkennbarem, aber keineswegs im platonischen Sinne einer Uridee, eines Etwas, dass das Ding zum Ding macht, sondern behauptet bloß, dass wir durch (Kants teilweise fragwürdige Kategorien), durch unsere Sinne, unser Subjektsein alle Dinge sehen. Diese Subjektivität kann niemals abgelegt werden, weshalb uns das Ding an sich (gesehen ohne diese subjektive Brille) unerkannt bleiben muss. (Im Grunde kann Kant von diesem Ding nicht einmal wissen, ob es existiert.)

s.

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