Nachdem wir gestern auf grosse Reise gegangen sind, widmen wir uns heute unserem Garten. Schliesslich ist es an der Zeit, ihn für den Winter herzurichten.
Gut, ich gebe zu: Ich habe keinen Garten mehr. Und selbst als ich noch einen hatte, habe ich die üblichen Gartenratgeber nie gelesen. Der Garten als kulturelles Phänomen (um es mal pompös zu formulieren) hat mich aber schon immer interessiert. Walpoles Garten würde ich gerne sehen; auch den von Pückler-Muskau, der mir durch seine Werke als Landschaftsgestalter ebenso bekannt ist wie als Weltreisender. Wie weit Reisen und Gärtnerei wirklich zusammenhängen, kann ich nicht beurteilen. Bei Bierbaum finde ich nichts über einen eventuellen Garten, aber auch ein anderer Reiseschriftsteller, mein Liebling Richard Katz, hat mit Übern Gartenhag ein bezauberndes Gartenbuch verfasst. Last but not least: Vita Sackville-West verbrachte lange Jahre im Ausland und reiste immer gern.
Hierzulande ist Vita Sackville-West (1892-1962) wohl am besten bekannt als Freundin und zeitweilige Geliebte der Schriftstellerin Virginia Woolf. Sie war das Ur- und Vorbild zu Woolfs Orlando im gleichnahmigen Roman. Eventuell weiss man dann noch, dass Knole House, wo Vita geboren wurde und aufwuchs, Orlandos Schloss zum Vorbild diente. Mehr weiss auch der Gebildete kaum. Anders in Grossbritannien. Dort ist sie noch immer ein Haushaltname und man kennt auch (um nicht zu sagen: vor allem) die Gärtnerin Vita Sackville-West. Vita, die zwar das älteste Kind war, aber eben eine Frau, konnte zwar das elterliche Knole House nicht erben, dafür kauften sie und ihr Mann später Sissinghurst Castle. Im riesigen Garten des Anwesens konnte Vita ihren landschaftsgärtnerischen Furor voll ausleben. Doch nicht das machte sie bekannt, sondern, dass sie ab 1946 im Observer eine wöchentliche Kolumne über das Gärtnern schrieb – und das 15 Jahre lang.
Nicht Gemüse-Gärtnerei, selbstverständlich. Gemüse wird allenfalls am Rande erwähnt; selbst als die Nachkriegszeit ein ziemliches Mass an Gemüse-Pflanzung verlangt, interessieren unsere Gärtnerin nur die extravaganteren Varietäten. Aber im Grossen und Ganzen geht es um Zierpflanzen, um Blumen und Bäume – nicht nur in ihrem Garten, auch in ihrer Kolumne. Die wurde rasch ein grosser Erfolg. Vita Sackville-West wuchs zu einer nationalen gärtnerischen Institution. Das führte dann auch dazu, dass sie im Jahre 1951 eine Auswahl der Kolumnen von 1950 in Buchform veröffentlichte, unter dem Titel In Your Garden. 1953 folgte ein zweiter Band unter dem Titel In Your Garden Again, der die Kolumnen von 1952 versammelte. Schön der Reihe nach angeordnet, wie sie erschienen sind. Denn, und hier liegt wohl ein wichtiger Grund für den Erfolg ihrer Kolumnen: Vita Sackville-West theoretisiert nicht, sondern sie folgt dem Jahr mit seinen Gut- und Schlechtwetterperioden. Sie zeigt sogar eine ziemliche Abneigung gegen theoretische Ausführungen und zieht des öfteren Gartenbaubücher und -ratschläge von Profis in Zweifel. Sie geht auf Anfragen ihrer Leser und Leserinnen ein, beantwortet sie ausführlich, vermittelt sogar Adressen, wo man dies oder jenes erhalten könne. Sie schreibt im Dialog und stellt dem Leser Fragen: „Ist das eine gute Idee?“ Es sind keine rhethorischen Fragen, sie gibt zu: „Ich habe es noch nicht selber probiert.“ Sie ist ehrlich: „Ich frage mich gerade, was Sie über Steingärten denken. Ich persönlich bin ja dagegen.“ – um dann aber doch einige Überlegungen anzufügen, wie sie einen solchen Garten allenfalls anlegen würde. Denn darin ist sie eine richtige Gärtnerin: Es wird nichts a priori ausgeschlossen.
Dabei ist es ganz klar: Wenn Vita Sackville-West schreibt, sie hätte dies oder jenes so gemacht in ihrem Garten, müssen wir darunter immer verstehen, dass sie die Idee hatte – und ihre Gärtner die Arbeit. Vita Sackville-West gärtnert ins Grosse. Blumen und Büsche werden in riesigen Beeten farblich abgestimmt gepflanzt. Da sind nicht nur zwei oder drei von derselben Sorte, selten nur zwanzig oder dreissig – das sind gerne 200 und mehr. Noch heute wird der Garten von Sissinghurst Castle nach ihren Grundsätzen bepflanzt, und er ist eine Sehenswürdigkeit geworden. Meines Wissens ist er einer der meist besuchten Gärten Grossbritanniens. Und die Briten lieben bekanntlich Gärten und besichtigen sie gern.
Der leichte Plauderton macht diese beiden Bücher zu einer angenehmen und divertierenden Lektüre. Da, auch wer einen Garten hat, Vita Sackville-Wests Ratschlägen kaum folgen kann – unsere Gärten sind ja meist viel kleiner, und auch das Klima ist von dem Kents recht verschieden -, ist es eher so, wie wenn man am abendlichen Kaminfeuer bei einer Pfeife und einem Glas Port sässe und der Hausfrau beim Plaudern zuhört. Und – siehe da! – diese gärtnerischen Nichtigkeiten entpuppen sich als ebenso wichtig und interessant wie das ganze Weltgeschehen. Immerhin reisst der Gärtner zwar auch viel und oft nieder, aber nur, um etwas anderes, Schöneres, an seine Stelle zu setzen.
Zu meiner Ausgabe: Ich habe hier vor mir die in einem Band zusammengefasste Ausgabe von In Your Garden und In Your Garden Again, die 2010 bei der Folio Society erschienen ist. Sie enthält neben Schwarz-Weiss-Fotografien von Vita Sackville-West auch einige Farbbilder des Gartens in seinem heutigen Zustand. Meines Wissens ist diese Ausgabe allerdings mittlerweile vergriffen.
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