Horace Walpole: The Castle of Otranto [Die Burg von Otranto]

Horace Walpole (1717-1797) war von Beruf wohlhabender Sohn. Sein Vater war der erste Premierminister Englands, Sir Robert Walpole. Der besorgte, zur Zeit, als er noch an der Macht war, dem Sohn eine politische Sinekure. Somit konnte Walpole jr. seinen Vorlieben leben. Er war Amateur, Dilettant auf verschiedenen Gebieten. Das einzige seiner Hobbies, das er ernst genommen zu haben scheint, war die Politik, wo er seinem Vater zwar ideologisch nachfolgte, aber als schlechter Redner sich ohne weitere Karriere-Ambitionen mit einem Sitz im Unterhaus begnügte. (Böse Zungen behaupten, dass “Politiker” einfach ein Synonym sei für “Amateur” oder “Dilettant”. Ich will nicht widersprechen.) Horace Walpole dilettierte auf so verschiedenen Gebieten wie der Architektur (er baute sein Landhaus “Strawberry Hill” in eine Burg nach gotischem Stil um), dem Gartenbau (er definierte als erster den “englischen Landschaftsgarten” im Gegensatz zum geometrisch konzipierten Barockgarten, wie er bis dahin als ‘state of the art’ galt und v.a. in Frankreich gepflegt wurde. Wir kennen als berühmtestes Beispiel eines Barockgarten den von Schloss Versailles). Last but not least widmete sich Walpole der Literatur.

Und auch in der Literatur war Walpole “erster”. Nämlich der erste, der eine sog. “Gothic Novel” verfasste. Er gab dem Phänomen gleich den Namen und definierte den Inhalt: “Gothic Novel” würde von nun an einen Schauerroman bedeuten mit einem historischen Setting (vorzüglich in der Zeit der Gotik) und einem fremdländischen Schauplatz (vorzüglich Italien oder Spanien). Schon dies ‘beisst sich’ im Grunde genommen, da die Gotik ja gerade kein typisch mediterranes Phänomen ist. Eine der vielen Wunderlichkeiten um Walpoles einzigen (bzw. einzig bekannten) Roman The Castle of Otranto.

In unserm Forum hat orzifar den Roman verrissen. Zu Recht. Er ist ein Monster. Na ja – ein Mönsterchen, denn mit knapp 100 Seiten in meiner Ausgabe ist er ja nicht lang. Die Charaktere sind schlecht entworfen, noch schlechter durchgeführt. Nicht einmal konsequent können sie sein: Wer gerade noch ‘A’ sagte, wird fünf Seiten weiter das Gegenteil ‘B’ behaupten. Auch der der Story zu Grunde liegende Fluch ist hirnrissig.

Das Ganze ist so übel, dass ich unsicher geworden bin. Auslöser war die Publikationsgeschichte. Walpole veröffentlichte den Roman zuerst am 24. Dezember 1764 (mit der Jahreszahl 1765) in 500 Exemplaren als angebliche Übersetzung aus dem Italienischen und fügte ihr ein entsprechendes Vorwort bei, wo er sich als reiner Herausgeber stilisierte. Einige Kritiker fielen darauf herein, andere durchschauten die Chose. Im Gegensatz zu Macpherson liess Walpole die Maske schnell fallen, bereits für die zweite Auflage vom 11. April 1765. (Vielleicht, weil er denselben Trick verwendet hat: Walpole erkannte Macphersons “Ossian” übrigens sofort als nicht authentisch.) Den nochmals 500 Exemplaren der zweiten Auflage wurde ein anderes Vorwort beigegeben. Hier plädierte Walpole für künstlerische Freiheit und Phantasie, die er im strengen Regelwerk, mit dem die französische Literatur und die französische Literaturkritik – allen voran Voltaire – ihre Werke massen, vermisste, ja bedroht sah. Es ist also auch kein Wunder, dass man bei genauer Lektüre jede Menge Anspielungen und Paraphrasen aus Shakespeares Werken findet. Es ist dann auch die zweite Auflage, die der Geschichte den Untertitel “A Gothic Story” gibt – so den Begriff prägend, den Generationen von Autoren weiterführen würden.

Wie aber nun, wenn auch diese zweite Autorenintention Fiktion wäre? Walpole sich auch über die aufkeimende Shakespeare-Manie hätte lustig machen wollen? Hinweise im Text gäbe es dafür durchaus. Beispiele: Die Geschichte hat noch kaum begonnen, der Leser hat mal erste Namen zur Kenntnis genommen. Da wird bereits auf der zweiten Seite der gerade erst eingeführte Sohn Conrad – der sowieso bloss ein kränklicher Knabe von gerade mal 15 Lenzen war – schon mal erschlagen. Nicht von einem beliebigen Ding – nein, es muss ein alter Helm sein, 100mal grösser als je ein für ein menschliches Haupt geschmiedeter. Das ist mehr als nur ein simpler Totschlag, das ist ein Overkill. So eine Szene ist nicht mehr tragisch – sie ist lächerlich. Ich kann mich nicht erinnern, meine aber, die Geschichte spule nachher so schnell ab, dass Conrad vergessen wird und selbst dann unbeerdigt bleibt, als sein bösewichtiger Vater zum Schluss reumütig ins Kloster geht. Dieser, mit Namen Manfred, ist motiviert durch eine “ancient prophecy”, eine uralte Prophezeiung also, die Burg und Herrschaft zu Otranto der gegenwärtigen Familie weggenommen werden sollte, sobald der rechtmässige Inhaber zu gross geworden sein, die Burg zu bewohnen. Diese Prophezeiung ergibt keinen Sinn, was der Erzähler auch offen zugibt. Schlimmer: Das Rätsel wird nie aufgelöst. Auch das Alter der Prophezeiung ist äusserst relativ, der Leser erfährt zum Ende hin, dass sie gerade mal zwei Generationen alt sein kann, weil es Manfreds Grossvater war, der den rechtmässigen Grafen Alfonso auf einem Kreuzzug im Heiligen Land vergiftet hat. Manfred nun, der Inbegriff des Bösewichts: Was für ein seltsamer Bösewicht ist das? Drei- oder viermal verurteilt er Theodore zum Tod, ohne auch nur formell über ihn zu Gericht  zu sitzen, einfach so in der Hitze seines Temperaments. Ebenso schnell lässt er sich jeweils wieder umstimmen. Ganz lächerlich wird er aber, wenn er mal wieder jemanden verfolgen will und dabei auf seine Dienstboten angewiesen ist. Ihre Dummheit und ihre Schwatzhaftigkeit, die sie dazu bringen, von hunderterlei Dingen zu erzählen, nur nicht davon, wovon sie eigentlich erzählen wollten und müssten – es bringt Manfred zur Verzweiflung. Er schäumt vor Wut und beschimpft seine Leute aufs Übelste. Und dann? Dann erzählt der Bedienstete – wie wenn er nie unterbrochen worden wäre – die Geschichte in allen Mäandern weiter. Und Manfred schäumt von neuem, im Grunde genommen völlig hilflos ausgeliefert.

Kann einer – selbst oder gerade ein Dilettant – eine Geschichte und einen Charakter so schlecht komponieren? Walpole war kein Dummkopf – sah er nicht, dass sein Manfred, falls als ernst zu nehmender Bösewicht gedacht, eine schlechte Kopie eines Shakespeare’schen Bösewichts ist?

Oder eben: eine Karikatur. Wir finden in Walpoles Text des öfteren in den Reden seiner Figuren in eckigen Klammern Bemerkungen, die nachgerade als Regieanweisungen aufzufassen sind. Walpole wusste, dass er Theater kopierte. Ich habe den Text gern gelesen – als Groteske, als Hanswurstiade.

4 Replies to “Horace Walpole: The Castle of Otranto [Die Burg von Otranto]”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert