Zu Virginia Woolf habe ich ein gespaltenes Verhältnis. Wie so oft, bin ich auch zu Woolf nicht über literarische Texte gestossen, sondern über ihren Essay A Room of One’s Own. Darin reklamiert sie die Gleichberechtigung für die intellektuelle Frau; eine Gleichberechtigung, die ganz einfach damit beginnen soll, dass auch die Frau ein Zimmer für sich selber haben dürfe. Wie durch ihr ganzes Werk hindurch, beschäftigt sie also auch hier das Schicksal der Frau aus gehobenen Schichten. Dass sie deshalb heute als Ikone der Frauenemanzipation gilt, entbehrt m.M.n. nicht einer gewissen Ironie.
Das nächste Buch, das ich von ihr las, war dann The Waves. Eine sensible, poetische Schilderung des Lebens einer Gruppe von Freunden. Die Autorin schildert die Ereignisse (die eigentlich gar keine sind) in einer Sprache, die das Kommen und Gehen der Wellen am Meeresstrand wunderschön nachformt. Der Leser steckt direkt im Kopf der Protagonisten und hört ihnen quasi zu. „Innerer Monolog“ oder „Stream of Consciousness“ sagen fast zu wenig aus über die Schönheit der Sprache.
Somit hatte Woolf alle Chancen zu einer meiner Lieblingsautoren zu werden. Dann las ich To the Lighthouse und war enttäuscht. Zu konstruiert, zu trocken die Geschichte, zu mager die Sprache. Ich mag das auch bei Eco nicht; der Herausgeber meiner Ausgabe von Mrs Dalloway allerdings schwärmt gerade dafür.
Ziemlich abgekühlt las ich Jahre später Orlando. Auch hier fand ich eine gute Idee vor, die allerdings im Laufe der Roman-Ereignisse immer mehr verwässert wurde. Was viele Leser und auch Leserinnen so fasziniert, das Spiel mit den Gender-Rollen (um es modern auszudrücken), ist m.M.n. äusserst medioker ausgeführt. Je mehr wir uns dem Ende des Buches nähern, desto mehr franst die Geschichte aus. Interessant waren ja nur die Schilderungen des barocken Poetenlebens.
Das führte mich dazu, dass ich mich wieder ihren Essays widmen wollte. Konsequenterweise legte ich mir dafür The Common Reader zu, eine zweibändige Auswahl aus Virginia Woolf Literaturkritiken. (Die sie ja eben nicht als solche verstanden haben wollte, sondern sozusagen als Lesenotizen einer zwar fleissigen aber durchaus gewöhnlichen Leserin.) Tatsächlich wurde ich nicht enttäuscht. Sicher befinden sich in einer solchen Sammlung immer auch mindere Stücke. Aber im Grossen und Ganzen gelingt es Woolf, ein lebendiges Bild ihrer Lektüre zu zeichnen und dem Leser die Lust zu vermitteln, sich auch mit diesen Autoren auseinanderzusetzen. Auch hier sind ihre besten Essays die über die Dichter des englischen Barock, wo sie mehr kennt und mehr empfiehlt als den allgegenwärtigen Shakespeare.
Das letzte bisher (und es wird wohl das letzte überhaupt bleiben), das ich von Virginia Woolf gelesen habe, ist Mrs Dalloway. Diesem Buch verdankt sie den Ruf, zusammen mit James Joyce den modernen Roman gegründet zu haben. Nun sind zwar ihre Wurzeln in Henry James und Edith Wharton unverkennbar: Die Protagonisten sind immer aus dem gehobenen Mittelstand, die Erzählung wird aus dem Inneren der Protagonisten geführt. Allerdings führt Woolf den Leser viel konsequenter ins Innere ihrer Protagonisten, hüpft auch von Figur zu Figur, lässt selbst unwichtige Randfiguren für eine Seite oder zwei ihre Sicht der Dinge, ihre Gedanken darstellen. Der Roman hat seine Schwächen, weil die Erzählung oft allzu sehr mäandert. Doch gerade durch seine Schwächen wird er für mich zu einem ihrer besseren, zu einem wirklich lesenswerten Roman.
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