München: C. H. Beck, 2009.
Ein schmales Bändchen (knapp über 100 Seiten), das zwei kleine Erzählungen (oder sollen wir doch von kurzen Romanen reden?) Heimito von Doderers vereinigt. Beide Texte wurden zu Doderers Lebzeiten nicht veröffentlicht.
Seraphica
Bei Seraphica handelt es sich um eine Biografie des Franz von Assisi. Es ist wohl das früheste ausgeführte schriftstellerischeProjekt Doderers, begonnen schon kurz, nachdem er aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, also ca. 1920. Der Text weist alle Merkmale bewussten Gestaltens auf, auch wenn es von hier zum Doderer der Dämonen und der Strudlhofstiege noch ein gewaltiger Weg sein sollte. Doderer wählt für diese seine Biografie eine sehr hymnische, ekstatische Sprache. Der Vergleich mit Hesse, den der Klappentext macht, ist wohl nur zu wahr. Noch ist der genaue Beobachter und Menschenzergliederer Doderer nicht am Werk. Eher sehen wir hier den später zum Katholizismus konvertierenden Doderer in nuce. Es sind der unbedingte Glaube, die Einfachheit und die Armut des Franz von Assisi und seiner Brüderschaft, die Doderer in Bann ziehen. Das Werklein beginnt mit einer Hymne an die umbrische Landschaft, die beschrieben wird, als hätte Doderer ein Ölgemälde vor sich. Dann folgt eine zweite Hymne, an Assisi, bei der wir merken, dass schon dem frühen Doderer das Städtische bedeutend mehr liegt als die Landschaft. Zum Schluss der Einführung noch ein Gedicht über den Hintergrund („Dunst, der in die Ebene verschwimmt – – „), das seinerseits beweist, dass Doderer gut daran tat, kein Lyriker zu werden. (Auch wenn ich gern zugebe, dass Hermann Hesse, dessen lyrische Produktion nicht klein war, auch nicht viel besser dichtete.) Sodann die eigentliche Biografie, in einem bewusst altertümelnden Ton gehalten. Es ist keine kritische Darstellung des Heiligen Franz, ganz im Gegenteil. Grössere Wunder lässt Doderer zwar beiseite, aber im Grossen und Ganzen bleibt der Text ein Mittelding zwischen moderner Biografie und Auszug aus den Legenda Aurea.
Fazit: Man sieht wohl die Kralle des Löwen, aber noch hätte aus Doderer auch nur ein besserer Unterhaltungsschriftsteller im Stil von Hermann Hesse werden können.
Montefal
Montefal (von 1922) wiederum ist die Vorstufe des späteren Das Letzte Abenteuer (1936, enthalten im Band Die Erzählungen, erschienen ebenfalls bei C. H. Beck). Es gibt signifikante Unterschiede zwischen dem früheren und dem späteren Text, die eine separate Veröffentlichung als separate Erzählung durchaus rechtfertigen. Da wir Das letzte Abenteuer hier (noch?) nicht vorgestellt haben, macht es allerdings keinen Sinn, darauf einzugehen.
Montefal versetzt uns ins Mittelalter, zu den alten Rittern. Es ist eine bewusst recht abstrakt gehaltene Ritterswelt allerdings.
Der Ritter Ruy de Fanez hört von der Burg Montefal, auf der die Herzogin Lidoine sitzt. Diese hat ein Problem mit einem Drachen, der ihre Ländereien verwüstet. Der Ritter geht hin und kämpft mit dem Drachen. Der Kampf endet sozusagen unentschieden, indem der Drache sich zwar unter Hinterlassung seines Horns, das der Ritter einsammelt, zurückzieht, aber eben nicht definitiv. Der Ritter erhält trotzdem die Hand der Herzogin – jedenfalls fast. Denn nun kommt ein deutscher Ritter, der nicht nur den Drachen tötet, sondern auch sonst ein ganzer Kerl ist, der z.B. die Turniergefechte zwischen den Rittern von reinem Schaulaufen in Ernstkämpfe verwandelt, die auf Leben und Tod gehen. Der sensible Ruy de Fanez zieht sich zurück. Dass er dabei unterwegs den Drachen, der immer noch nicht ganz tot war, endgültig tot schlägt, spielt dabei gar keine Rolle mehr. Der Melancholiker hat alle Lust an der schönen Herzogin und der übrigen Welt verloren. In einem letzten Kampf gegen eine Schar Banditen scheidet er aus dem Leben, und Doderer vermittelt den Eindruck, dass es nicht ganz gegen seinen Willen geschehen ist.
Eine Miniatur über Melancholie und Liebe. Noch sind die Charaktere wenig detailliert, aber Ruy de Fanez ist schon ein ganzer Mann.
Das ganze Bändchen ist – vielleicht besser noch als der von Qualtinger empfohlene Roman Ein Mord den jeder begeht – zur Einführung in Heimito von Doderers literarische Welt geeignet. Und wer Doderer schon von seinen grossen Romanen kennt, wird hier einen Autor entdecken, der auch im Kleinen hätte gross werden können.