Im Grunde kann man all das so unterschreiben: Gerade die Bedeutung Rousseaus ist philosophisch nicht zu rechtfertigen, einzig die Tatsache, dass sein Denken auf das politische Leben einigen Einfluss hatte, sichert ihm Bedeutung zu. Voltaire hingegen kommt mir – vor allem in moralisch-ethischer Hinsicht – zu schlecht weg: Sein Einsatz für Opfer der Justiz ist nicht hoch genug einzuschätzen, auch deshalb, weil Philosophen oder Gesellschaftstheoretiker sich ansonsten zwar angelegentlich um das Wohl aller Menschen und der Welt kümmern, den einzelnen (ohne den es keine Gemeinschaft gibt) aber mit Stillschweigen und Verachtung übergehen. (Paradebeispiel wieder einmal Rousseau, der im „Emile“ auf hehre Weise pädagogisch zu wirken sich bemüht, seine eigenen Kinder aber ins Findelhaus gibt.)
Das Diktum Bloms hingegen, dass Diderot & Co. auch heute noch gänzlich unbekannt und eigentlich nur dem Fachphilosophen bekannt sind, scheint mir ein wenig fragwürdig. Dem gebildeten Laien sind diese Namen durchaus ein Begriff, in philosophischen Seminaren werden sie (meiner Erfahrung nach) nicht stiefmütterlicher als die beiden bekannteren Vertreter ihrer Zunft behandelt. (In deutschsprachigen Landen gleich selten …) Sein Engagement für diese Denker des Materialismus ist hingegen absolut berechtigt: Denn ihre Ansichten sind auch heute noch von ungleich mehr Aktualität als etwa das romantisierende Gefasel eines Rousseau, sie waren in ihrem Bemühen, Mensch und Welt aus rationaler Sicht und fern aller unsäglichen metaphysischen Spekulationen zu betrachten, ihrer Zeit weit voraus. Dieses eigentlich Selbstverständliche (nämlich dass diese Philosophen uns heute sehr viel mehr als ein Rousseau zu sagen haben) auszusprechen scheint eigenartigerweise immer noch nötig; wohl auch, weil das Bedürfnis nach metaphysischer Nestwärme nie versiegt und religiös-theologische Spekulationen auch noch nach mehr als 200 Jahren nicht auf dem Misthaufen der Philosophiegeschichte gelandet sind.
Noch eines macht dieses Buch klar: Das vielzitierte „christliche Abendland“, welches man mit Freiheit oder Gleichheit zu assoziieren gewohnt ist, gibt es nicht. Zumindest: Es ist definitiv nicht christlich, sondern sein genaues Gegenteil. All jene Dinge, welche wir heute (zu Recht) als Errungenschaften einer freien, offenen Gesellschaft betrachten, sind genuin antichristlich: Gleichberechtigung, Freiheit des Denkens, der Meinung, Demokratie (die kath. Kirche „anerkannte“ diese Staatsform erst in den 1960iger Jahren), ein der Kritik offenes, geistiges Klima. Nichts von all dem würde es geben, hätten sich christlich-religiöse Haltungen durchgesetzt – einzig die Aufklärung (und vor allem die von Blom herausgestellten Denker) vermochten gegen eine immer präsente, religiöse Unterdrückung jene Werte durchzusetzen, welche die Einfalt (etwa in Person einer Ursula von der Leyen) als „christlich“ bezeichnet.
Von kleineren Ungenauigkeiten abgesehen (so wird – unabschichtlich? – suggeriert, dass „de tribus impostoribus“ ein in der Aufklärung entstandener Text sei) kann man dieses Buch durchaus empfehlen: Leicht lesbar, kenntnisreich geschrieben, allerdings keine akademische Abhandlung. Was aber das Buch nicht sein will, weshalb ihm solches auch nicht vorgeworfen werden kann. Ganz sicher nicht die schlechteste Einführung in das Thema der französischen Aufklärung.