John Wyndham: The Midwich Cuckoos [Es geschah am Tage X … auch: Kuckuckskinder]

Midwich in den Midlands: Der Name der Lokalität, in der dieser Roman praktisch zur Gänze spielt, ist Programm. Alles irgendwie in der Mitte, in der Normalität, in der Regularität. Der Held des Romans – für einmal nicht der Ich-Erzähler – stammt ebenfalls aus der Mitte: aus der gebildeten Mittelklasse, die sich einen gewissen Luxus auf dem Land erlauben darf. Zeit der Handlung: Wyndhams Gegenwart, also die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. (Der Roman erschien 1957 zum ersten Mal.)

Dann kommt der Tag X. (Dieser deutsche Titel ist an und für sich völlig bescheuert.) Midwich wird während rund 24 Stunden komplett von der Umwelt abgeschnitten. Das beginnt in der Nacht um 22.17 Uhr und fällt erst auf, als aus dem Nachbardorf von Midwich gemeldet wird, dass dort ein Cottage brenne. Die ausgesandte Feuerwehr aber kommt nie an, meldet sich auch nicht zurück. Eine zweite Feuerwehr – weil nun ein zweites Cottage brennt – verschwindet ebenfalls spurlos. Richard Gayford, der Ich-Erzähler, hat den Abend in London verbracht. Beim Versuch, Midwich zu betreten, fallen er und seine Frau in Ohnmacht. Es stellt sich heraus, dass zirkelförmig rund um das Dorf eine Kuppel gelegt wurde, bei deren Betreten jede grössere Lebensform in Ohnmacht fällt. Die Lebewesen erwachen sofort wieder, wenn man sie aus dem Kreis herausziehen kann. Nach 24 Stunden ist der Spuk beendet.

Erst einen Monat später zeigt sich das nächste Phänomen: Es stellt sich heraus, dass alle gebärfähigen Frauen im Dorf schwanger sind. Wyndham gelingt es ausgezeichnet, die Reaktionen der Beteiligten (Panik bei vielen Frauen, Misstrauen bei den Männern, Schadenfreude im Nachbarstädtchen) zu schildern, die Art und Weise, wie sich die Dorfbevölkerung langsam an das Phänomen herantastet, um es verstehen und akzeptieren zu können. Dann kommen die Kinder zur Welt: 31 Knaben und 30 Mädchen. (Es stellt sich nämlich heraus, dass eine Schwangerschaft offenbar natürlichen Ursprungs war. Die Aliens – denn als Aliens werden die Invasoren jener Nacht nun allgemein betrachtet – die Aliens hatten eindeutig im Sinn, gleich viele Knaben wie Mädchen in ihre menschlichen Inkubatoren einzupflanzen.)

Der Versuch, jetzt zur Normalität zurückzukehren, scheitert an dem merkwürdigen Verhalten der Kinder. Es stellt sich heraus, dass sie offenbar einen Gruppen-Verstand haben – die Mädchen einen und die Knaben einen. Der will nicht nur, dass sie alle an einem Ort bleiben, er ist auch ungeheuer aufnahmefähig, weil, was ein Mädchen gelernt hat, nachher alle Mädchen wissen. Und für die Knaben gilt dasselbe. Dieser Gruppenverstand ist auch in der Lage, die Menschen zu beeinflussen. Wenn die Kinder nicht wollen, verlässt niemand das Dorf. An der Grenze, die die Kinder stecken, bremst jeder unwillkürlich ab. Jeder Versuch, Gas zu geben, scheitert, so lange man nicht den Rückwärtsgang eingelegt hat.

Auch zeigt es sich, dass die Kinder mit zunehmendem Alter zu zunehmender Brutalität neigen. Jede Verletzung, die die Menschen ihnen zufügen, wird mit dem Tod des Verursachers geahndet, auch wenn es im Grunde genommen (nach menschlichen Kriterien) nur ein Unfall war. Immer mehr zeigt sich dem Helden der Geschichte, Gordon Zellaby, die Notwendigkeit, dass mit diesen Kindern aufgeräumt werden muss, wenn die Menschheit nicht will, dass diese Kinder mit ihr aufräumen. Zellaby, der das Vertrauen der Kinder geniesst, missbraucht es, um eine riesige Installation (die angeblich zur Projektion von einem Film dient) in das Institut zu schleppen, in dem die Kinder von Staates wegen unterrichtet werden. (Der Staat, nebenbei, interessiert sich deshalb so sehr für diese Kinder, weil auch die Sowjets über eine solche Kolonie verfügen, und man hofft, die Kinder für sich instrumentalisieren zu können.) In der Installation befindet sich auch eine Kiste mit Dynamit. Zellaby, alt und herzkrank, sprengt sich und die Kinder in die Luft.

H. G. Wells’ The War of the Worlds stand eindeutig Pate zu diesem Roman, was Wyndham auf offen zugibt, sogar intertextuell: Zellaby bezieht sich auf Wells’ Roman. Ansonsten ist es ein klassischer “Böse-Aliens-versuchen-die-Erde-zu-erobern-und-werden-von-einem-schlauen-Helden-zurückgeschlagen”-Roman, eine gut erzählte, nette Variante davon. Ungefähr ab der Mitte ist sein Ende vorhersehbar. Damon Knight (In Search of Wonder. Chicago, 1967) verwirft den Roman deswegen denn auch zur Gänze.

Andererseits ist es wiederum Adam Roberts im Vorwort zu meiner Folio-Society-Ausgabe von 2010, der auch bei diesem Text eine Lektüre gegen den Strich vorschlägt. Für ihn ist es ein Roman, der die Erfahrungen der Judenvernichtungsstrategie der Nazis thematisiert: Wie kommen durchschnittliche, ja sogar überdurchschnittlich gebildete und ansonsten völlig normale Leute dazu, in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe Feinde der eigenen Rasse, ja der Menschheit zu sehen? Genau wie die Expeditionsleiterin in The Chrysalids rechtfertigt auch Zellaby seine Tat mit einer kruden aber intelligent zusammengekleisterten Mischung aus Sozial- und Rassendarwinismus: Entweder die Kinder oder die Menschheit. Nebeneinander geht nicht. Im Grunde genommen haben wir in diesem Roman das Negativ von The Chrysalids vor uns. Dort wird die Geschichte aus der Perspektive der telepathischen Kinder erzählt, hier aus der der sie umgebenden Gesellschaft. Dort ist die Gesellschaft barbarisch, hier sind die Kinder dämonisch, herzlos und unberechenbar. Dort gehen die Barbaren unter, hier die Kinder.

Es ist tatsächlich nur diese Lektüre gegen den Strich, die aus Wyndhams beiden Romanen mehr macht als einen mittelmässigen Zeitvertreib. Ich denke nicht, dass Wyndham Roberts’ Interpretation zugestimmt hätte. Zu positiv besetzt sind die beiden Figuren der Expeditionsleiterin und Zellabys, als dass ihr Rassendarwinismus vom Autor ironisch eingesetzt worden sein könnte. Aber vielleicht wusste der Autor mehr, als er vor sich selber zugeben konnte?

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