Gemeint ist der V. Band der Werk-Ausgabe bei Greno, die ihrerseits den Sämmtlichen Werken folgt, deren Ausgabe Wieland selber noch ab 1795 veranlasst hatte. Band V der Greno-Ausgabe umfasst die Bände 14, 15 und 16 der Original-Ausgabe.
Der V. Band nun ist ein Sammelsurium verschiedenster, heute nur noch dem Spezialisten bekannter kleinerer Werke Wielands. Es wäre schön, hier schreiben zu dürfen, dass es zu Unrecht vergessene Werke des Meisters sind – das ist aber nicht der Fall. Die Beyträge zur Geheimen Geschichte der Menschheit von Band 14 bilden dabei noch den interessantesten Part, und darin wiederum der erste Text (Koxkox und Kikequetzel. Eine mexikanische Geschichte). Mexikanisch ist zwar nicht viel daran, ausser, dass Wieland die Namen seiner beiden Protagonisten aztekisch klingen lässt. Es ist die Geschichte zweier Menschen, eines Männleins und eines Weibleins, die als einzige einer Naturkatastrophe entkommen sind. Einsam wachsen sie (zuerst allerdings noch mit ihren Müttern, was für Wieland wohl die Garantie war für eine minimale Kultur, die den beiden vermittelt sein musste) auf einer ebenso einsamen Insel heran, bis sie – aufgeblühter junger Mann und aufgeblühte junge Frau respektive – auf einander treffen. Es kommt, wie es kommen muss: Liebe im Stand der Unschuld. Eines der Lieblingsthemen Wielands. Doch wie jede utopische Gesellschaft Wielands geht auch diese daran zu Grunde, dass von aussen ein Dritter in sie eindringt und sie korrumpiert.
Es folgen zwei Aufsätze, die sich mit Jean-Jaques Rousseaus politischer Theorie auseinander setzen – nicht zum Vorteil Rousseaus, dem Wieland unterm Strich Naivität vorwirft. Der letzte Aufsatz von Band 14 räumt mit dem Vorurteil auf, dass die Geschichte der Menschheit eine in ihrer Kultur abnehmende sei. In Tat und Wahrheit sieht Wieland überall wellenförmige Bewegungen, ein stetes Auf und Ab.
Band 15 (Vermischte prosaische Aufsätze) fährt in dem Stil weiter. Noch einmal, diesmal unter ägyptischem Deckmantel und aus Sicht der Korrumpierer, wird erzählt, wie ein naives, unschuldiges Volk, diesmal im Inneren Afrikas, durch die Dekadenz eines andern, diesmal der alten Ägypter, verdorben wird. Nicht ohne Ironie geschrieben, aber Wielands Aussage ist unterdessen bekannt. Es folgt mit Stilpon eine Diskussion im platonischen Stil und antiken Gewand, zum Thema der demokratischen Wahl eines Staatsoberhaupts – die Wieland so gar nicht empfehlen kann. Danach wird Rousseau, den Wieland im vorhergehenden Band noch literarisch hingerichtet hat, in einem Aufsatz vor dem Vorwurf, einen (zumindest) zweifelhaften Charakter zu haben, weil er seine Geliebte den Diebstahl ausbaden lässt, den der selber begangen hat, in Schutz genommen. Das zeugt von Wielands persönlicher Gutmütigkeit, von seiner Tendenz, vom Menschen niemals gleich das Schlechteste anzunehmen – aber es irritiert. Freymüthige Gespräche über die katholische und die protestantische Religion folgen, wo Wieland für seine Verhältnisse dann wieder klar Stellung nimmt – für die protestantische Kirche. Zum Schluss dieses Bandes zerreisst Wieland einen anonym gemachten Vorschlag zur Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse v.a. des armen Teil der deutschen Bevölkerung in der Luft – durch eine klassische Reductio ad absurdum. Leider im Grunde genommen nur für den Historiker interessant.
Am schwächsten dann Band 16, der Cyrus, das Fragment eines Heldenepos, enthält und Araspes und Panthea, eine Erzählung aus Cyrus‚ Dunstkreis. Wieland war offenbar in jungen Jahren sehr von Xenophons Cyropädie beeindruckt, so dass er versuchte, sie in ein Heldenepos im klassischen, homerischen Stil umzuformen. Es blieb bei einem unvollendeten Versuch: Weder Thema noch Stil sind so wirklich Wielands – das Heldenmässige liegt dem Ironiker nun einmal nicht. Araspes und Panthea ist eine ebenfalls Xenophons Cyropädie entnommene Liebesgeschichte, in der Cyrus selber nur eine Nebenrolle spielt. Es geht darin um die Verführbarkeit des Mannes: Araspes verfällt trotz ursprünglich gegenteiliger Beteuerungen der Schönheit der kriegsgefangenen Panthea und benimmt sich ungebührlich. Das ganze hat – wie so gern bei Wieland – eine Art Happy Ending, bleibt aber unbefriedigend, weil Wieland die Tiefen einer grossen Leidenschaft nicht wirklich auszuloten vermag.
Alles in allem also ein Band für Wieland-Spezialisten und solche, die es werden wollen.