Charles Baudelaire: Sämtliche Werke/Briefe. Band 7: Richard Wagner. Meine Zeitgenossen. Armes Belgien!

Der vorletzte Band der Werkausgabe bietet dem Leser wieder einmal ein wahres Potpourri an Themen. Neben den im Haupttitel erwähnten Aufsätzen finden wir noch weitere Schriften, v.a. zur bildenden Kunst. So ganz nebenbei desavouieren sich die Herausgeber der Ausgabe auch, weil sie zugeben müssen, dass von der Notizensammlung, die Baudelaire als Grundlage hätte dienen sollen für ein Reisebuch namens Armes Belgien!, nicht alles hier abgedruckt wurde.

Das tut sicher dem weh, der gerne alles von Baudelaire gelesen hätte; ich vermute aber, dass die ausgelassenen Stellen gegenüber den abgedruckten wenig oder nichts Neues gebracht hätten. Schon in der vorliegenden Fassung sind Baudelaires Notizen sehr repetitiv und sehr – ermüdend. Um ehrlich zu sein, haben mir diese Notizen mit ihrem nachgerade grotesken Hass auf Belgien und die Belgier und Belgierinnen einen ziemlichen Schreck eingejagt. Weder Land noch Leute hatten Baudelaire je etwas zu Leide getan; im Gegenteil, als die Fleurs du Mal in Frankreich Probleme hatten, wich Baudelaire für den Druck nach Belgien aus. Jetzt, 1864, war sogar Baudelaire in Person nach Brüssel gereist. Der Boden in Paris war ihm wohl mittlerweile zu heiss: Zu viele Gläubiger, die von ihm ihr Geld zurück haben wollten. Wahrscheinlich war es gerade diese Unfreiwilligkeit des Aufenthalts, die dem Exilanten Baudelaire sein Gastland so verhasst machte. Er mochte nichts: Die Leute fand er hässlich, das Land stank nach Schmierseife, die Frauen waren ungewaschen und wiesen keine sinnlichen Lippen auf, auch über die belgische Variante des Französischen mokierte Baudelaire sich. Irgendwann wurden mir seine Invektiven zu viel, und ich begann, kursiv zu lesen. Bis ich plötzlich – halt! – da war doch … genau, eine Bemerkung über den jesuitischen Baustil. Zurückblättern, noch weiter zurückblättern … Könnte es sein? … Ja, Baudelaire meint Barock und Rokoko damit. Und er ist tatsächlich, wahrscheinlich als einer der ersten Kunstkritiker überhaupt, in der Lage, diese Baustile positiv einzuschätzen und als quasi logische Konsequenz einer immer mehr den Himmel stürmenden Gothik zu verstehen. (Selbst Jacob Burckhardt, ein Jahrzehnt früher in Der Cicerone, vermochte noch nicht, dem Rokoko positive Seiten abzugewinnen.)

Daneben ist es in den kunstkritischen Essays vor allem der 1863 verstorbene Eugène Delacroix, dem Baudelaire huldigt. Anders als in seinen Berichten über die diversen Pariser Salons, ist Baudelaire bei Delacroix durchaus in der Lage, das Zukunftweisende dieses Malers zu sehen und zu schätzen – nämlich die Priorität der Farbe über die Form, die Delacroix zum Romantiker machten, zum Vorläufer des Impressionismus. Aufsätze über die Kunst des Radierens runden die kunstkritischen Schriften dieses Bandes ab.

In der literaturkritischen Sektion finden wir diverse Aufsätze, die Baudelaire für einen Sammelband über die französische Literatur beitrug. Die wenigsten Zeitgenossen, die er dafür besprach, sind heute noch bekannt, auch wenn er z.B. zu einem gewissen Auguste Barbier festhält, dass

[…] der Ruhm dieses Dichters feststeht und die Nachwelt ihn nicht vergessen wird […]. (S. 151)

Wirklich bekannt ist heute nur noch Victor Hugo, den Baudelaire nach wie vor als romantischen und damit fortschrittlichen Autor betrachtet und deshalb liebt; Théophile Gautier kennt zumindest der Literaturwissenschafter; Leconte de Lisle könnte noch Rilke beeinflusst haben. Obwohl Baudelaire dies andern Kritikern vorwirft, vermischt auch er gern politische Ansichten mit literarischen – gute Autoren sind jene, die sowohl romantisch wie anti-napoleonisch sind.

Richard Wagner nun, den er – wie auch Kenneth Clarke, obwohl ich im Aperçu über dessen Landscape into Art über Wagner geschwiegen habe (wie mir überhaupt je länger desto mehr Clarke in recht grossem Umfang von Baudelaire beeinflusst scheint) – Richard Wagner also, den Baudelaire als Romantiker wahrnimmt, wird in einem längeren Artikel behandelt, den Baudelaire verfasste, als eine Aufführung des Tannhäuser in Paris zum Skandal entartete, da Wagners Musik nicht in die enge Vorstellungsweise gewisser einflussreicher Publikum-Clubs passte. Baudelaire erkannte die Neuheit Wagners, der zum ersten Mal Libretto und Musik einer Oper als gleichberechtigt ansah und von daher eine neue Art von (Gesamt-)Kunstwerk ansteuerte. Im übrigen verstand Baudelaire selber wenig von Musik, über die musikalische Seite Richard Wagners äussert er sich denn auch nur recht vage. Da Baudelaire auch kein Deutsch verstand, und Richard Wagners Texte nur aufgrund miserabler französischer Übersetzungen einschätzen konnte, ist es ihm umso höher anzurechnen, dass er Wagners Tendenz richtig erfasste.

So, nun habe ich Band 7 von hinten nach vorne besprochen, aber das macht auch nichts.

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