Edmond de Goncourt: Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben. 8: 1886-1888

Ähnlich wie der alte Raabe betrachtet sich der alte Edmond de Goncourt seit einiger Zeit als „Romancier a.D.“; ähnlich wie der alte Goethe wird er sich selber historisch. Das macht, dass Edmond seit einiger Zeit nur noch die alten Romane von sich und seinem Bruder wieder auflegt, allerdings mit neuen Vorworten versehen. Diese Vorworte nimmt er oft aus alten Briefen Jules‘ und aus den frühen Jahren des Journals.

Überhaupt, dieses Journal. Edmond hat sich entschlossen, Teile davon öffentlich zu machen. Ein Vorabdruck in einer Zeitung aber wird abgebrochen, weil der Herausgeber der Zeitung ob der geharnischten Rektionen der Umwelt erschrickt. Da sind einmal die usprünglichen Teilnehmer der skeptischen Gesellschaft, wie sie sich noch vor 25 Jahren genannt haben: Sie protestieren lauthals, dass sie sich damals keineswegs so säuisch ausgedrückt hätten, wie das nun Edmond in seinen Passagen aus dem Tagebuch suggeriere. Auch dass sie damals zum Teil ganz andere politische Meinungen vertraten als heute (1887), bekümmert sie. Diesen letzteren Kummer drücken sie mehr in direkten Briefen an Goncourt aus; ersteres veröffentlichen sie auch. Edmond seinerseits befürchtet nun Forderungen zum Duell. Er lässt eine öffentliche Stellungnahme publizieren, in der er die ganzen Schweinereien jener Tage sich in die Schuhe schiebt – sich und zwei Toten: seinem Bruder Jules und Gustave Flaubert. (Edmond beklagt in seinem Tagebuch selber die Diskrepanz zwischen seinem kampfeswilligen und -mutigen Geist und seinem Körper, der ihn angesichts der Gefahr im Stich lässt und krank wird.) In der Buchausgabe ist Edmond dann noch ein bisschen vorsichtiger, was die negativen Reaktionen der Umwelt keineswegs mildert. Edmond de Goncourt ist für die Welt des Feuilletons das schwarze Schaf der Literatur geworden, einer, der sich anmasst, mehr gemacht und gekonnt zu haben, als das tatsächlich der Fall war.

Dazu tragen nicht zuletzt auch ehemalige Freunde und Weggefährten bei. Mit Émile Zola überwirft sich Edmond de facto, weil der Ältere dem Jüngeren nach wie vor diverse Plagiate vorwirft. Mit Guy de Maupassant überwirft sich Edmond, weil der Jüngere in aller Öffentlichkeit Edmond und seinen Bruder Jules zwar als Wegbereiter akzeptiert, ihre Rolle aber für ausgespielt und den künstlerischen Wert ihrer Romane für gering hält. Anatole France vertritt eine ähnliche Meinung, aber mit Anatole France waren die Goncourts gar nicht erst befreundet. Von den übrigen ‚jungen Realisten‘ schlägt sich Céard auf die Seite Zolas. Der Rest scheint sich ebenfalls von Goncourt zurück zu ziehen; jedenfalls findet er wenig nennenswerte Erwähnung mehr. Den Salon der Prinzessin Mathilde besucht Edmond nach wie vor, aber auch dort scheint ihm die Faktion um Zola nun den Ton angeben zu wollen. Warum aber, fragt Edmond sein Tagebuch sarkastisch, warum sollen er und sein Bruder Amateure in der Welt der Kunst gewesen sein, nur weil sie von Adel sind und ein „de“ vor dem Nachnamen tragen, warum aber soll ein Guy de Maupassant ein echter Künstler sein?

So müssen wir eine zunehmende Vereinsamung des alten Mannes feststellen, die nur dadurch gemildert wird, dass er Auguste Rodin kennen lernt, der der einzige nicht-japanische bildende Künstler ist, den er nach Paul Gavarni wirklich hoch schätzt und zu verschiedenen Malen trifft. Dann ist da natürlich die unverbrüchliche Freundschaft mit Alphonse Daudet, dem Edmond 1888 gesteht, dass er der erste und einzige ausser seinem Bruder ist, mit dem er so gut harmoniere und dessen Gedanken er so hoch schätze. Last but not least aber finden wir eine kleine Romanze mit einer offenbar bedeutend jüngeren Frau, die ihm ihre Liebe erklärt. Edmond fühlt sich versucht, doch noch zu heiraten, doch noch eine Familie zu gründen. Er entsagt aber – aus zwei Gründen, wie er dem Tagebuch meldet. Einerseits (und es ist wohl bezeichnend, dass er diesen Grund zuerst erwähnt!) will er sein Geld nun tatsächlich dem Andenken Jules‘ (und dem eigenen!) widmen und jene Académie Goncourt gründen, die der Beiden Namen der literarischen Nachwelt erhalten soll. Andererseits schreckt Edmond aber auch davor zurück, eine viel Jüngere zu heiraten, weil er es als unfair empfindet, sich auf diese Weise weniger eine Geliebte denn eine Krankenschwester einzuhandeln. Die Unbekannte (auch das Tagebuch erfährt ihren Namen nie!) verschwindet wieder aus Edmonds Leben. An der Akademie aber hält Edmond umso zäher fest, als erste Gerüchte davon bereits ins Feuilleton gelangt sind – allwo man diese Pläne natürlich in der Luft zerreisst.

Fazit: Ich werde wohl doch noch einen Roman der Goncourts lesen müssen – sowohl, um die Plagiatsvorwürfe an Zola zu kontrollieren (was heisst, dass ich auch noch einen Zola lesen muss – Zola, dessen Lektüre ich schon vor einem Vierteljahrhundert als unbefriedigend beendet habe), aber auch und vor allem, um zu prüfen, ob die ziemlich vernichtenden Urteile eines Guy de Maupassant oder eines Anatole France Stich halten.

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