Edmond de Goncourt: Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben. 6: 1873-1880

Edmond, der das Journal seit Jules‘ Tod alleine weiterführt, ist darin bedeutend weniger fleissig als sein Bruder. (Es will mir auch scheinen, dass er weniger zynisch, weniger bösartig ist – allerdings immer noch zynisch, immer noch bösartig genug.) So kommt es, dass Band 6 der deutschen Gesamtausgabe gleich acht Jahre (von 1873 bis 1880) abdeckt.

Dabei hätte Edmond viel zu berichten. Nicht nur politisch (die Dritte Republik erlebt, kaum gegründet, schon ihre erste Krise mit der versuchten Machtübernahme der Royalisten), sondern auch literarisch: Die Goncourts erleben mit ihren Büchern eine Renaissance. Sie verkaufen so viel wie noch nie. Sie verkaufen wirklich viel. Edmond sonnt sich natürlich im Erfolg, auch wenn der chronische Pessimist und Grübler sogleich zwei Wermutstropfen entdeckt. Einerseits die Tatsache, dass sein Bruder nur die Ablehnung durchs Publikum erfahren durfte und jetzt die spätere Anerkennung nicht mehr; andererseits aber – und das scheint Edmond fast noch mehr zu fuchsen – die Tatsache, dass der Erfolg der Realisten, wie sie sich nennen (heute sprechen wir vom Naturalismus), noch in viel grösserem Masse als den Goncourts ihrem ehemaligen Schützling Émile Zola zufällt. Süffisant vermerkt Edmond in seinem Journal, dass der Erfolg seinen Freund fett hat werden lassen, weniger süffisant, sondern leicht verärgert, dass Zola viele Kleinigkeiten (und sei es nur, wie die Huren in Paris potentielle Freier auf der Strasse ansprechen) von ihm und seinem Bruder geklaut hat. Auch hält er wenig von Zolas Stil und stellt seine eigenen Bemühungen, mit denen er eine schöne Sprache mit realistischem Inhalt zu verbinden sucht, weit über Zolas kruden Realismus.

Daneben tritt Alphonse Daudet in Edmonds Leben. Der Südfranzose stellt mit seinem luftigeren Charakter ein Gegengewicht zu Goncourt dar, der zu Schwarzseherei und Hypochondrie neigt. Mit Genugtuung notiert Edmond, dass Daudet, der ebenfalls auf dem Höhepunkt seiner literarischen Karriere anlangte, in den Buchhandlungen sogar den omnipräsenten Zola zu verdrängen mag.

Alle diese Kabbeleien finden aber unter Freunden statt und hindern Edmond de Goncourt nicht daran, bei der Fortführung der skeptischen Gesellschaft dabei zu sein. Die ursprüngliche Gesellschaft mutierte im Lauf der Zeit zu einem Versammlungspunkt junger Staatsangestellter, die vor allem ihre Karriere-Chancen diskutierten. Mathilde Bonaparte war zwar auch wieder zurück in Paris, aber ihre Gesellschaften wurden, jedenfalls nach Edmonds Geschmack, nun zu sehr von Frauen dominiert. So fanden sich fünf Autoren zum „Dîner der Fünf“ oder „Dîner der ausgepfiffenen Autoren“ zusammen. „Ausgepfiffen“ deshalb, weil alle fünf Autoren auf der Bühne eklatante Misserfolge aufzuweisen hatten. Ansonsten aber traf sich hier gewissermassen die literarische Crème de la Crème: Flaubert, Turgenjew, Zola, Daudet und eben Goncourt.

Auch im Kreise der Kollegen erfahren die Väter des Naturalismus Anerkennung. 1877 werden Flaubert, Goncourt und Zola von den jungen Naturalisten Guy de Maupassant, Joris-Karl Huymans, Henry Céard, Léon Hennique und Paul Alexis zu einem einem ehrenden Dîner eingeladen – eine Einladung, die sie im folgenden Jahr erwidern.

1880 markiert das Ende dieser glanzvollen Epoche. Turgenjew ist schon seit längerem zurück in Russland, und am 8. Mai stirbt dann, völlig unerwartet für seine Freunde, Gustave Flaubert.

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