Die ersten christlichen Zeugnisse stellen die Paulusbriefe etwa 25 Jahre nach Jesu Tod dar, die drei synoptischen Evangelien von Lukas, Markus und Matthäus entstanden etwa 40 Jahre nach der Kreuzigung. Dass selbst diese drei Evangelien in großen Teilen einander widersprechen ist ein offenes Geheimnis, vom Johannes-Evangelium, dem Liebkind aller Katholiken ganz zu schweigen. (Wobei es ja unzählige – geschätzt etwa 400 – weitere Evangelien gegeben hat, denen erst später die Inspiration durch den Heiligen Geist versagt wurde.)
Eines aber scheint offenkundig: Wenn es diesen Jesus gegeben hat und er auch nur entfernte Ähnlichkeit mit der Person der Evangelien besitzt, so war ihm an nichts weniger gelegen als einer Institution wie der Kirche. Zum einen waren da die Vorbehalte gegenüber allen religiösen Formalismen, zum anderen hat dieser Jesus fest darauf gezählt, dass das Ende der Tage sehr bald oder aber zumindest in einem Zeitraum eintritt, dass noch so manche der ihn Hörenden dieses Ende erleben. Schon deshalb war ihm an ausformulierten Dogmen wenig gelegen: Die kurze, noch verbleibende Zeit bis zum Jüngsten Gericht sollte ganz sicher nicht mit Querelen über den Empfang irgendwelcher Sakramente vergeudet werden.
Eine der ersten, einschneidenden Veränderung war die Vergottung der Person Jesu: Deschner weist auf viele Passagen des NT hin, die das Selbtstverständnis Jesu als eines Gottes in Zweifel ziehen. (Wobei natürlich gesagt werden muss, dass aufgrund der Überlieferung, der zahlreichen Konjekturen, Einschübe, Fälschungen etc. praktisch jeder Satz des NT mit Fug und Recht in Zweifel gezogen werden kann und dies auch getan wurde. Die endgültige dogmatische Ausrichtung des Christentums war ein historischer Prozess, der auch heute noch anhält: Man muss die antiquierte Lehre den wissenschaftlichen Erkenntnissen immer wieder aufs Neue anpassen.) Und während man im 2. Jhd. von Jesus als von einer „untergeordneten Gottheit“ spricht, wird später – nicht ohne starke Widerstände aus der Kirche – schließlich die Dreifaltigkeit und die nicht wirklich logische Einheit dieser Trinität als ein Gott in drei Erscheinungen postuliert. Bis es allerdings so weit war, musste noch einiges Blut fließen und man ließ etwa nicht wenige Monophysiten über die Klinge springen.
Auch die verschiedenen Sakramente haben eine durchaus streitbare und zumeist todbringende Vorgeschichte, da mit den Unterlegenen in Dogmenstreitigkeiten meist nicht sehr zimperlich umgesprungen wurde. Das Kuriose an diesen archaisch anmutenden Riten ist eigentlich nur die Tatsache, dass sie auch heute noch im Schwange sind: Es scheint fast unglaublich, dass die Zauberformel während der Eucharistie noch Bestand hat (das muss man glauben, will man sich Christ nennen) oder aber die magischen Verrichtungen bei der Taufe. Gerade letztere ist (wie auch die Beichte bzw. das Bußsakrament) vor allem ein religionspolitisches Instrument: Dadurch, dass man unmündige, noch zu keiner Entscheidung fähige Neugeborene zwangstauft (wodurch sofort rechtliche Konsequenzen entstehen: So würde im Erbfalle dieses Kind sofort kirchensteuerpflichtig), schafft man sich jene Masse an Menschen, auf die sich die Kirche als „dominierende“ Religion so gern beruft. (So nebenbei: Die ersten Christen, die die Kindstaufe befürworteten, wurden exkommuniziert, manche hingerichtet – und zwar mit genau dem Argument, dass es für einen Christen einer willentlichen, rationalen Entscheidung bedürfe, damit er Christ sein könne.) Ist diese flächendeckende Zwangstaufe erfolgt, wird der Druck durch den schulischen Einfluss der Kirchen weitergegeben: Ein nicht getauftes Kind würde in einem kleinen Ort wie dem meinen zu einem völligen Außenseiter, einzig in größeren Städten ist der Druck – schon wegen der vielen muslimischen Kinder – geringer: Orzifar jr. hat das Glück, in einer solchen Stadt zur Schule gehen zu können. Aber selbst in solchen Schulen ist die religiöse Indoktrination nicht zu unterschätzen: Wie ich bestätigen kann.)
Einen eigenen Abschitt widmet Deschner dem Unfehlbarkeitsdogma, dass sich ein offenbar geisteskranker Papst selbst zu schenken beschloss. Dieser Schwachsinn ist allerdings angesichts der sonstigen Dogmen, die einem gläubigen Christen zugemutet werden, bestenfalls eine kleine, kuriose Draufgabe. Umso lächerlicher sind „aufgeklärte“ Theologen (contradictio in adiecto) wie etwa Hans Küng, die sich gerade an diesem Dogma reiben, um die Kirche ein klein wenig unangreifbarer zu machen. Allerdings braucht man nur an den Taufritus zu denken, die damit verbunden „Abschwörung des Satans“, an das dreimalige Ausgießen des Taufwassers in Kreuzesform über dem Haupt des Täuflings, dreimal zur Verehrung der Trinität (und über jemanden, der bei Vollmond ein getrocknetes Krötenbein bespuckt und nach dreimaligen um sich selbst drehen sich den Speichel an die Stirn schmiert, würde man lachen) oder eben die pseudokannibalische Eucharistiefeier nebst Zauberwirkung, um diese Unfehlbarkeit nicht als das Hauptübel der Kirche zu sehen. Das mir so vollkommen Unverständliche ist das Faktum, dass sich die jeder Vernunft widersprechende Bräuche und Zeremonien noch immer erhalten – und nicht nur das: Sie erfreuen sich nach wie vor einer hohen Anerkennung und hohen Beliebtheit.*
*) Was aus solchen Absurditäten entsteht war gestern in Paris zu sehen: Das waren nicht „irregeleitete“ Muslime, sondern Menschen, die ihrem Glauben Audruck verliehen haben. In allen religiösen Bücher (ob AT, NT, Koran etc.) finden sich unzählige Stellen, die dieses Tun rechtfertigen und gutheißen. Und das Christentum hat gerade mal vor etwa 250 Jahren das Morden aus religiösen Gründen aufgegeben (aufgeben müssen), da sie in der sich säkularisierenden Welt ihre Macht verloren hat. Dieser Machtverlust während der Aufklärung war aber mit einem letzten Aufbäumen verbunden: War man dazu in der Lage, wurden Ketzer immer noch ins Gefängnis oder auf den Scheiterhaufen gebracht (bei Voltaire ist man mit dem Umbringen gescheitert). Das dies heute nicht mehr geschieht hat nichts, aber rein gar nichts mit der Kirche oder einem geläuterten Christentum zu tun. Sondern einzig damit, dass die Kirche ihre Machtbasis verloren hat und sie sich an die neuen Gegebenheiten anpassen musste.
Noch heute fallen die ärgsten Lächerlichkeiten, Verlogenheiten nicht mal auf: Wenn der Papst im europäischen Parlament für Demokratie, Gleichheit und Solidarität wirbt, vergisst die hingerissene Zuhörerschaft völlig, dass die Demokratie erst seit 50 Jahren für die katholische Kirche eine anerkannte Staatsform ist, sie selbst den Charakter einer Diktatur (nebst unfehlbaren Diktator) besitzt, dass die Hälfte der Menschheit (die Frauen) keine oder kaum Rechte in dieser Organisation besitzt und dass diese Kirche – im Gegensatz zu den angeprangerten Konzernen – fast nirgends in den westeuropäischen Ländern Steuern abführt. Die Solidarität wird von anderen gefordert, aber gegenüber der Kirche sind Google, Amazon, Apple oder Microsoft Wohltätigkeitsunternehmen, die zum Gesamtsteueraufkommen wenigstens teilweise beitragen. Es ist schlicht eine grenzenlose Heuchelei.
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