Im deutschen Sprachraum kennt man von Dylan Thomas (1914-1953) vor allem oder einzig sein Hörspiel Under Milkwood. Ich habe dieses Hörspiel, wie ich es damals hier besprochen habe, sowohl unter Drama wie unter Lyrik abgelegt – Lyrik wegen seiner Sprache einerseits, aber auch wegen seines Inhalts, der im Grunde genommen ein grosser lyrischer Traum ist. Ich schrieb damals:
Mag sein, dass in Grossbritannien (oder in Thomas’ engerer Heimat, in Wales) noch anderes von ihm bekannt ist – international hat nur “Under Milkwood” den Durchbruch geschafft.
In der Zwischenzeit hat Folio Society einen Band mit ausgewählten Gedichten (Selected Poems) herausgegeben. (Das schmale Bändchen enthält praktisch alle Gedichte Thomas, da dieser in seinem kurzen Leben nur vielleicht ein knappes hundert verfasst hat.)
Die Lektüre macht sehr schnell klar, dass Dylan Thomas anders ist als andere Lyriker – vor allem unabhängig von irgendwelchen Schulen. Während im deutschen Sprachraum sowieso der Expressionismus auch die Generationen der später Geborenen stark beeinflusste – ein Einfluss, der im Englischen praktisch fehlt – gehört Thomas auch nicht zum Symbolismus oder zur (Neo-)Romantik. Er steht zwar den beiden Strömungen nahe, vor allem dem Symbolismus – aber eben nicht nahe genug. Vor allem ist festzuhalten, dass Thomas auf ganz eigenem Weg zu seinen Bildern gekommen ist.
Thomas Lyrik ist nämlich stark mit der Natur verbunden, die Thomas um sich her vorfand, mit dem Meer und mit seiner Heimat Wales. Dennoch ist es auch keine Heimatdichtung, kein Naturalismus, da ihm Wales und das Meer nur die Ausgangsbilder liefern für seine symbolistisch angehauchten Träumereien über Leben und Tod. Seine Sprache ist, wie auch in Under Milkwood, aufgeladen mit Melodie und Rhythmus. Eigentlich muss man seine Gedichte jedesmal laut vorlesen.
Bezeichnend für Thomas‘ Lyrik sind die Titel der schmalen Bändchen, die er veröffentlichte. Auf den ersten Blick sachlich, nüchtern, verraten sie doch seine Hauptthemen:
- 18 Poems
- Twenty-Five Poems
- The Map of Love
- Deaths and Entrances
- In Country Sleep
Schade, dass Lyrik so schwer zu übersetzen ist; Dylan Thomas hätte auch jenseits von Under Milkwood ein grösseres deutsches Publikum vedient.