Was soll man von einer Horen-Nummer halten, deren bestes Stück – Goethes Benvenuto Cellini ist?!?
Denn genau dies ist mit der vorliegenden N° 2 der Fall. Das ganze Heft besteht praktisch nur aus Fortsetzungen. Fortsetzungen nicht aber grosser Meisterwerke, sondern Fortsetzungen von mehr oder weniger mediokren Sächelchen. Man spürt Schillers zunehmende Verzweiflung daran, überhaupt eine Nummer voll zu kriegen:
Wir müssen alles was wir finden, für die Horen zusammenraffen… (Schiller an Goethe, 17. Januar 1797)
So fängt N° 2 des Jahres 1797 denn an mit der ersten Fortsetzung: Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien. K. W. F. von Funcks Aufsatz war in der ersten Nummer des 1797er Jahrgangs eine willkommene Abwechslung gewesen, weil erfrischend unprätentiös und wenigstens in einer lesbaren Sprache geschrieben. Aber Funck übertreibt die Verehrung dieses normannischen Raufbolds allzu sehr – eine Fortsetzung wäre nicht nötig gewesen. Sie langweilt nur noch. (Und fertig ist von Funck auch noch nicht…)
Es folgt eine weitere Art Fortsetzung: Sophie von Mereau darf, nochmals nach der Heft-Nummer 9 von 1796, aus dem Boccaz (d.i. dessen Decamerone) übersetzen. Die Übersetzung ist brav, der Text pädagogisch wertvoll. (Wie überhaupt man sich in dieser Nummer in eine editio ad usum delphini versetzt glaubt: Leicht verständliche und leicht verdauliche Häppchen mit trivial-moralischer Aussage. Und dabei ist es keine zwei Jahre her, dass Schiller seine grossen ästhetischen Schriften in dieser Zeitschrift platzierte…)
Auch die Agnes von Lilien wird fortgesetzt. Schon in der ersten Fortsetzung ist ja Caroline von Wolzogens Roman zu einer platt-romantischen Liebesgeschichte verkommen, in der allerhand Goethes Meister abgeklatschte Figuren ihr Unwesen treiben. Die zweite Fortsetzung wird da nicht besser. (Und auch hier ist des Lesers Leidensweg noch nicht zu Ende…)
Der einzige, der sein Publikum ernst nimmt, der aber leider so gar kein Gefühl fürs populär-wissenschaftliche Schreiben hat, ist in dieser Nummer Wilhelm von Humboldt. Auch er liefert eine Übersetzung (einer Ode von Pindar), aber er liefert auch einen ordentlichen Kommentar dazu. Das Ganze hätte allerdings in eine philologische Fachzeitschrift gehört; aber so etwas gab es damals m.W. noch nicht, und wenn, dann hatte der Amateur-Philologe wohl keinen Zugriff.
Last but not least nun Goethes Benvenuto Cellini. Wie schon gesagt: Das beste Stück in dieser Nummer. Zwar auch eine Fortsetzung (mittlerweile die achte!), zwar auch immer noch in diesem merkwürdigen altväterischen Kurialstil Goethes verfasst, zwar auch immer noch mit dem Ich-Erzähler Cellini, der sich, bewusst oder unbewusst, als sehr von sich eingenommener Künstler, Kunsthandwerker, Familienvater, Päderast und Totschläger präsentiert. Aber diese achte Fortsetzung liefert auch einen Bericht von der Herstellung des wohl bekanntesten Werks Cellinis: seines Perseus. Ich möchte die beiden Weimarer Dioskuren sich direkt dazu äussern lassen:
In dem neuen Stück Cellini habe ich mich über den Guß des Perseus recht von Herzen erlustigt. Die Belagerung von Troja oder von Mantua kann keine größere Begebenheit sein, und nicht pathetischer erzählt werden als diese Geschichte. (Schiller an Goethe, am 7.02.1797)
Und Goethes postwendende Antwort:
Der Guß des Perseus ist fürwahr einer von den lichten Punkten, so wie bei der ganzen Arbeit an der Statue bis zuletzt Naturell, Kunst, Handwerk, Leidenschaft und Zufall alles durcheinander wirkt und dadurch das Kunstwerk gleichsam zum Naturprodukt macht.
(Vielen Dank an User Gontscharow in Forum fürs Heraussuchen der Briefstellen! Dort wurde auch darauf hingewiesen, dass Schiller die Beschreibung von Cellinis Giess-Technik später in seiner Glocke verwenden würde.)
Womit literarisch wie kunsthistorisch diesem Meister des italienischen Manierismus auch in der deutschen Klassik ein Denkmal gesetzt wurde.