Mariana Mazzucato: Das Kapital des Staates

Der Autorin ist es darum zu tun, eine – wenn nicht sogar die These neoliberaler Marktpolitik als falsch bzw. kontraproduktiv auszuweisen: Nämlich die Forderung, dass der Staat sich so wenig wie irgend möglich in ökonomische Belange einmischen soll und dass das freie Spiel der Märkte alle eventuell auftauchenden Probleme von sich aus lösen wird. Von sozialpolitischen, ethischen Konsequenzen einmal abgesehen erweist sich diese Forderung auch als wirtschaftspolitischer Unsinn – und Mazzucato zeigt gerade anhand der Großen (wie Apple oder der pharmazeutischen Industrie), dass all deren Erfolg auf der Grundlage staatlicher Forschung und gesteuerter Innovation basiert.

Apple wird für die Autorin zum Paradebeispiel eines Mythos: Kraft der Innovationskraft, der Intelligenz und des Unternehmergeistes wird hier – ausgehend von der Silicon-Valley-Garage – ein weltumspannendes Unternehmen geschaffen, wobei aber im Grunde jede Technologie, auf denen die Apple-Produkte basieren, vom Staat entwickelt wurde (und das Unternehmen in schwierigen Phasen auf Gelder aus Staatsfonds zurückgreifen konnte). In keiner der unzähligen Erfolgstories, die vom Silicon-Valley ausgingen, werden die staatliche Grundlagenforschung, die enorme finanzielle Förderung erwähnt, während unternehmerisches Risikokapital immer erst sehr viel später zum Einsatz kommt: Dort, wo bereits finanzieller Erfolg in Aussicht steht.

Wobei sich der Staat nach Mazzucato nicht nur auf die Grundlagenforschung beschränkt (die, mangels ökonomischer Anreize, ohnehin fast ausschließlich von dieser Instanz betrieben wird), sondern auch die entsprechende Unterstützung in der Anfangsphase der Unternehmungen gewährt: Anhand von Statistiken weist sie nach, dass privates Wagniskapital eine weit untergeordnete Rolle spielt. Diese Bedeutung, die den staatlichen Stellen in den USA aber auch in europäischen Ländern zukommt, wird zumeist völlig unterschätzt oder aber durch die Unternehmerlobby totgeschwiegen: Man reklamiert wirtschaftliche Erfolge für sich (um den „ineffektiven Staat“ angreifen oder Steuererleichterungen fordern zu können), bemerkt aber nicht (oder will es nicht bemerken), dass die Fundamente von öffentlicher Stelle gelegt wurden. Die Situation verschärfte sich in diesem Jahrhundert dadurch, dass Internetgiganten wie Google, Amazon (auch das Internet ist eine staatliche Erfindung: Der Versuch einer dezentralen Vernetzung für das us-amerikanische Verteidigungsnetzwerk) bzw. Firmen wie Microsoft oder Apple sich ihrer Steuerpflicht immer weiter entziehen. Und es so auch dem Staat verunmöglichen, weiterhin in innovative Projekte zu investieren, deren Risiko für private Geldgeber viel zu hoch wären.

Für die „grüne“ Energiewirtschaft gilt Ähnliches: Einzig durch staatliche Regulierungen, Förderungen kann die technologische Grundlage geschaffen werden, dass nachhaltige Energieerzeugung die auf fossilen Brennstoffen basierende Stromerzeugung ablösen kann. Viele dieser Projekte sind anfangs (oft auf mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte) unrentabel, manches ist auch eine schlichte Fehlinvestition, was durch das große Risikopotential unbekannter Technologien selbstverständlich ist. Trotzdem sind diese Maßnahmen, Forschungen unabdingbar – und sie sind nur dann zu finanzieren, wenn dem Staat (über das entsprechende Steueraufkommen) auch die Möglichkeit zu einer solchen Finanzierung gegeben wird. So ist das Buch ein Plädoyer für den Unternehmerstaat, der Innovationen in die Wege leitet, Unternehmen in schwierigen Phasen unterstützt bzw. jenes Machtmonopol darstellt, dass einzig Probleme wie den Klimawandel in den Griff bekommen kann.

In all dem kann man der Autorin zustimmen, allerdings blendet sie ein entscheidendes Faktum fast aller Staaten aus: Nämlich den staatlichen Egoismus, für den die Grenze eines prosperierenden Unternehmerstaates die geographische Grenze ist. Selbst in einem „einheitlichen“ Wirtschaftsraum wie der Europäischen Union kann man sich vor allem im Bereich der Steuergesetzgebung nicht einmal auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner einigen: Wodurch die Staaten zum Spielball jener oben erwähnten Konzerne werden. Hier wird für einen kleinen, nationalen Vorteil das Gesamtwohl geopfert, nicht erkennend, dass durch diese lächerlichen Egoismen schließlich alle verlieren.*


*) Und man will auch ganz grundsätzliche Fakten nicht anerkennen: Etwa dass jede Währungsunion immer auch ein Solidaritätsprinzip beinhaltet. Oft wurde für das Funktionieren dieser Währungsunion auf europäischer Ebene als kleines Modell Italien herangezogen: Trotz unterschiedlichster wirtschaftlicher Bedingungen zwischen Norditalien und – beispielsweise – Kalabrien hätte es doch auch dort funktioniert. Ja, aber nur aufgrund des erwähnten Solidaritätsprinzips. Denn wie selbstverständlich unterstützen reichere Gebiete die ärmeren: Sagt man sich von diesem Prinzip los, muss man (wie etwa die Lega Nord) die Staatsteilung wollen. Und so wollte man über die gemeinsame Währung in Europa den ungehinderten wirtschaftlichen Warenverkehr: Aber man bekommt bei großen regionalökonomischen Unterschieden das eine nicht ohne das andere (die Solidarität). Auch hier wird – wie bei der Steuergesetzgebung – mit den staatlichen Egoismen gespielt (auf jeder Seite): Derjenige gilt als erfolgreicher Staatsmann, der für seinen beschränkten Teilbereich den größtmöglichen Vorteil erkämpft: Auch wenn es letztendlich auf Kosten aller geht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert